Brüder und Schwestern
den vor versammelter Mannschaft, nicht mehr bringen. Devantier verlöre ja seine ganze Autorität. Und ehrlich, ich will jetzt auch nicht mehr, daß Marty zurückkommt. Ich werde niemandem verraten, wie er mir in der Nacht die Keule in den Rachen gestoßen hat, aber ich will ihn auch nicht mehr sehen. Er hat sich unmöglich gemacht. Er soll verschwinden von hier. Was bleibt mir also? Mit Devantier zu verhandeln …
Gleich am frühen Morgen, sie hatte sowieso nicht schlafen können, lief sie zu ihm hin. Er stand noch in Schlafanzug vor dem Waschbecken. Sie ließ ein erschrockenes »huch« ertönen, stammelte eine Entschuldigung und wollte wieder verschwinden, aber Devatier hatte die Größe und das Alter, mit Zahnpasta im Mund etwas hervorzubringen, das klang wie: »m Wnrm Pltz nmen.« Sie ging also zögernd in den Wohnraum und nahm Platz. Wenig später erschien er dort in einem gediegenen braunen Anzug und nach Rasierwasser duftend, gewiß, er wußte aus Erfahrung, was auf eine clowneske Nummer zu folgen hat: eine ernsthafte Darbietung. »Manche«, begann er die Unterredung, »kommen am Morgen nicht aus den Federn, wenn man sie am Abend mit Lorbeer zugeschissen hat, aber bei dir scheint’s ja genau umgedreht zu sein.«
Britta kicherte geschmeichelt.
»Was willste?« fragte Devantier nun direkt und fast abweisend, und auf einmal wußte Britta, ihre Überlegung, sie könne Devantier doch nicht im Stich lassen, gründete schlicht auf der Angst, ihm eine Absage zu erteilen. Sie traute sich das einfach nicht. Sie fürchtete sich vor einer harschen Reaktion.
»Der Lorbeer«, druckste Britta, »ich weiß nicht, aber – er hatte nichts mit meiner Darbietung zu tun.« Sie schaute Devantier wie entschuldigend an.
»Womit sonst?«
»Mit meinem Verhalten«, flüsterte Britta. Sie wurde immer scheuer, bemerkte es selber mit größter Verwunderung. Nur Devantier brachte das zuwege, sonst doch keiner. Aber sie war ihm nicht böse. Er hatte etwas Verschlingendes, aber auch etwas Beruhigendes, wie er da vor ihr thronte und sie abfragte. Sie mußte nur antworten, dann würde schon alles gut.
»Wie war denn dein Verhalten?«
Britta schaute zu Boden. »Es war nicht so, wie ich bin. Ich bin nicht – wie das Kleid.«
»Kleid ist nicht gleich Verhalten. Aber bitte: Was gefällt dir nicht an dem Kleid?«
»Es ist zu kurz, und es hebt … Dinge hervor, die ich nicht habe.«
»Dinge!« wiederholte Devantier und schaute sie spöttisch an. Plötzlich kamen ihr doch die Tränen.
Da vollzog Devantier eine für ihn völlig ungewöhnliche Wende. Er erhob sich von seinem Sessel, hockte sich vor Britta hin und murmelte: »Kind, ich entschuldige mich.«
Britta schüttelte schniefend den Kopf, als wolle sie sagen, halb so schlimm, setzen Sie sich nur wieder, aber Devantier blieb, wo er war, und sagte: »Ich verstehe dich besser, als du denkst. Ich gebe dir recht, du bist so nicht. Du paßt nicht in das Kleid – wenn man dich kennt. Aber das Publikum kennt dich nicht. Es hat dich genauso angenommen, wie du ihm erschienen bist. Es will getäuscht werden. Vieles hier basiert auf Täuschung, das ist Zirkus! Ich will ganz ehrlich sein, mein Mädchen, ganz ehrlich: Dieser Zirkus braucht dich gerade mehr, als du vielleicht ihn brauchst. Er braucht dich so, wie du nicht ganz bist, noch bis zum Saisonende, dann wird ein neuer Jongleur kommen. Also tu mir den Gefallen und bleib.«
War Devantier also in viel größerer Angst als sie! Vielleicht befürchtete er insgeheim sogar, sie werde das Weite suchen. Sie ahnte jetzt, daß er sich wohl selber gezwungen hatte, so mit ihr herumzuhantieren. »Ich bleibe doch«, rief sie schluchzend, »was denken Sie denn von mir, ich jongliere, so lange Sie wollen! So lange Sie wollen tu ich das!«
Devantier schaute sie ein paar Sekunden zärtlich an. Dann erhob er sich und erklärte, wieder einigermaßen streng: »Gut, bis zum Saisonende. In einem anderen Kleid, wenn du unbedingt willst. Such dir im Fundus eins aus.«
Und so kam es, daß sie noch Dutzende Male in einem bis zum Hals geschlossenen Kleid auftrat. Aber nicht mit zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren. Sie hätte sie sportlich tragen können, so viel war nach ihrem Gespräch mit Devantier klar, aber sie wollte das gar nicht mehr, sie empfand Freude daran, auf seine Wünsche, die sie ja nun bestens nachvollziehen konnte, wenigstens teilweise einzugehen, und so ließ sie ihre herrlich lange Mähne weiter in der Manege wehen, zur Freude des Patrons, zum
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