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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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schwieg. Ich versuchte mir vorzustellen, was wohl geschehen sein mochte, daß er eine solche Abscheu allen Tränen gegenüber entwickelt hatte. Aber mitten in jenes Ausmalen hinein sprach Antonio dann doch, nur war es keine Antwort, sondern eine Frage, und zu meinem Leidwesen eine, die ich nicht verstand: »Woseie die?«
    »Woseie die?« wiederholte ich.
    Antonio nickte. Sein Blick war matt und inständig zugleich, er durchdrang mich und wich mir doch aus, ein Ausdruck qualvollen Ringens, nur das begriff ich. Mir blieb nichts, als vor Antonio mit dem Kopf zu schütteln und mit den Schultern zu zucken; da tippte mich von hinten Vestis an, der die ganze Zeit an der Tür gestanden hatte, und flüsterte mir zu: »Herr Karandasch, vielleicht möchte er erfahren, wo seine Eltern sind. Seie – sind. Wo sind sie. Danach klingt es mir.« Und sogleich trat Vestis, mißtrauisch beäugt von Gomus, wieder zurück.
    In diesem Moment war mir, als dringe ein süßlicher, trockener, verbrannter Geruch in die Zelle, ein Geruch wie von Tabak, derselbe, der mir gestern in der Kutsche des Obersten in die Nase gestiegen war, nur feiner, nur nicht so aufdringlich. Ich fragte mich, ob ich im hintersten Winkel meines strapazierten Hirns an den Obersten gedacht hatte und also auch der Geruch, den ich mit ihm verband, Imagination war. Ob man etwas riechen kann, wiewohl dieses Etwas nichts als eine fixe Idee ist. Und wenn es sich so verhält? Welche Gewalt hat dann diese Vorstellung, welche Gewalt derjenige, der sie auslöst! Ich sog unauffällig Luft ein, und ich tat es in der Erwartung, jetzt, da ich mir der möglichen Einbildung bewußt geworden war, keinen Tabak mehr zu riechen. Aber die Wahrheit war, ich roch ihn nur um so stärker. Warm und trocken, wenngleich ohne sich bläulich und kringelig zu zeigen, schlug er mir entgegen. Ich blickte zu Antonio, der nichts zu bemerken schien. Gomus aber schnüffelte auch, wenigstens schloß ich das aus dem erkennbaren Heben und Senken seines Brustkorbs, einer für diesen Stoiker ungewöhnlich heftigen Bewegung. Hatte ich mir das Ganze also doch nicht nur eingebildet? Fragend sah ich zu Vestis. Da er sich von Gomus beobachtet fühlte, senkte er sein Gesicht. Seine Augen aber schauten mich halb von unten an. Für einen blitzenden Moment deuteten sie zu dem Rohrstummel. Ich setzte mich wie gedankenverloren in Bewegung und drehte, um unauffällig in die Nähe des Stummels zu gelangen, eine Runde durch die Zelle. Und fürwahr, dem kleinen Rohr entströmte Tabakgeruch. Ich tat, als habe ich nichts bemerkt, doch in Wirklichkeit befand ich mich in heftigstem Aufruhr, denn natürlich schlußfolgerte ich, am anderen Ende der Leitung sitze gerade, gemütlich seine Beine übereinandergeschlagen und genüßlich seine Pfeife schmauchend, der Oberste. Vor allem aber argwöhnte ich, er höre mich reden und tue an diesem Vormittag nichts anderes, als eben mir zuzuhören, oder genauer, als mich abzuhören. Was für ein absurder Gedanke! Sämtliche Geschäfte des Reiches lagen in seiner Hand, warum sollte er seine Zeit mit billiger Spitzelei verbringen, die er jedem anderen auftragen konnte, nun, fast jedem. Dann freilich erinnerte ich mich seines Wahns und seiner Lächerlichkeit und hielt es wieder für möglich und sogar für wahrscheinlich, daß er über oder neben uns hockte. Gewiß, er observierte mich höchstpersönlich! Wie sollte ich angesichts dessen weiter mit Antonio über Meta und Salo reden? Ich mußte doch Antonio, da ich nun einmal so unvorsichtig gewesen war, sie zu erwähnen, reinen Wein einschenken, und mußte zugleich peinlich genau darauf achten, mit meinen Worten den Obersten nicht zu erzürnen. Immer noch schaute mich Antonio erwartungsvoll und demütig an. Ich aber sah durch ihn hindurch das Gesicht des Obersten und geriet in größte Aufregung, weil mir, so fieberhaft ich auch überlegte, nicht einfiel, wie ich unser Gespräch nun weiterführen solle. Um Zeit zu gewinnen, fragte ich Antonio: »Du willst also erfahren, wo deine Eltern sind, habe ich das richtig verstanden? Ist das deine Bitte gewesen, ja?«
    Antonio wiederholte das Ja. Er nickte auch dazu.
    Da sagte ich, sie seien tot, nichts weiter kam mir über die Lippen; es war die volle Wahrheit und doch unverfänglich genug, denn der Mord, er blieb ja unerwähnt.
    Antonio reagierte so, wie ich es niemals erwartet hatte, obwohl ich es, wenn ich nicht in einer Art Delirium, nicht in einer mich vollkommen beherrschenden Angst gewesen wäre,

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