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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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endgültig zu schwach für die Welt.
    »Du mußt wieder unter Menschen«, sagte daraufhin Dietrich Kluge, »und du brauchst wieder eine Arbeit, eine, die dich nicht aufregt, irgendwas Kleines.«
    Kluge hatte auch schon eine Idee. Er erzählte Willy, daß gerade ein neuer Wärter für den Atomschutzbunker gesucht werde, da der alte, der sehr alte nun doch gestorben sei. Ob er sich vorstellen könne, diese Aufgabe zu übernehmen?
    Willys Gesichtszüge entgleisten. Er stellte eine Gegenfrage: Ob Dietrich Kluge eigentlich wisse, was er ihm da antrage? Er, Willy, habe diesen Bunker vor zehn Jahren auf Weisung Berlins in den Berg hauen lassen müssen, unnützerweise, denn bei einem Atomschlag wäre hier sowieso alles zu Ende, aber egal, er sei der Bauherr gewesen – und jetzt solle er den Pförtner spielen? »Das ist ein Gnadenbrot, das mir im Halse steckenbleibt. Ich glaube nicht, daß du mir so etwas tatsächlich zumuten willst.«
    »Doch«, entgegnete Dietrich Kluge. »Natürlich empfindest du meinen Vorschlag im ersten Moment als despektierlich, das begreife ich. Wie ein Abstieg kommt’s dir vor, in diesen Bunker zu gehen. Und es ist auch einer, das will ich gar nicht leugnen. Aber eigentlich, Willy, eigentlich steckt nur Dünkel hinter so einem Denken. Und wenn ich dir nochmal Honig ums Maul schmieren darf: Dünkel hast du nie gezeigt, darin liegt ja vielleicht sogar der Grund für das stille Wohlwollen, das mancher dir jetzt wieder entgegenbringt. Die Frage ist also, ob du den Dünkel ablegen kannst und das Wesentliche an meinem Vorschlag erkennst: Du würdest wieder Struktur in deine Tage kriegen, und du würdest auch wieder eine gewisse Verantwortung übernehmen, eine, die dich aber nicht mehr erdrückt. Mit einem Wort: Meines Erachtens handelt es sich um die ideale Kombination für dich, wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt.«
    Willy versprach, die Sache zu überdenken; und sie tranken die Flasche Korn leer bis auf den Grund und redeten über Gott und die Welt und die alten Zeiten, und am Ende hatten sie richtig Mühe aufzustehen, aus verschiedenen Gründen.
    Zwei Wochen später betrat Willy zum ersten Mal den Bunker. Er suchte und betätigte den Lichtschalter, Neonröhren flackerten auf, er sah eine Maus davonpesen, erkundete die Räume, von denen sich die meisten als leer erwiesen, betastete den Ölsockel der Wände, fand die Nische mit den Meßgeräten, deretwegen er hier war, er las die Werte für Luftfeuchtigkeit und Luftdruck ab und trug sie in eine Mappe ein.
    Diese führte er in seiner Aktentasche bei sich, von nun an dreimal am Tag, denn er erledigte seine Aufgabe gewissenhaft. Die abgelesenen Daten brachte er am Ersten eines jeden Monats zum Zivilschutz. Im übrigen legte er den zwei Kilometer langen Weg zum Bunker und vom Bunker weg stets in langsamem Tempo zu Fuß zurück, das heißt, er wanderte, mit seiner Aktentasche in der Hand, täglich sechsmal durch Gerberstedt. Am Anfang tuschelten die Leute, die ihn dabei sahen. Sie dachten, der ehemalige Druckereidirektor gaukle sich selber vor, er bekleide noch seinen Posten. Willy Werchow folgte, oder lief voraus, das Gerücht, er sei in die Verrücktheit gefallen. Plötzlich aber klärte sich alles auf, das geschah am Stand von Anton Maegerlein, dessen Gesicht im Laufe der Jahre einer erkalteten Bratwurst ähnlich geworden war, so faltig und schmal sah es aus. Was er denn nur immer herumginge, fragte Maegerlein. Willy sagte es ihm, da wußten bald alle, er war doch nicht verrückt, er war, je nach Blickwinkel, bloß eine traurige oder eine lächerliche Erscheinung geworden.
    *
    Das Schreiben lag schon ein paar Tage in der Stargarder Straße, als Matti von seinem dreiwöchigen Kahnfahren heimkam, aber da er sich, wie immer nach seiner Ankunft, gleich mit Catherine beschäftigen wollte und Catherine sich mit ihm, sagte sie ihm nichts davon, auf eine Stunde kam’s jetzt schließlich auch nicht mehr an.
    »Da ist übrigens ein Brief vom ›Metropolenverlag‹ in der Küche«, teilte sie ihm dann mit. Matti ging das Schreiben holen, und während er es las, verfinsterte sich seine Miene zusehends. Am Ende ließ er es enttäuscht und, wie es schien, auch empört sinken.
    »Sie haben dir abgesagt«, stellte Catherine fest.
    Matti bestätigte es, indem er seine Augenbrauen derart zusammenzog, daß sich über der Nase eine dicke Wulst bildete.
    »Mit welcher Begründung?«
    »Das ist es ja«, rief Matti aus, »mit gar keiner, hier, lies.« Er streckte Catherine das

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