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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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sich hier, es machte auf einen Schlag den ganzen Abend klein und auch ihn und Catherine. Die sich erleichtert zeigte, als er stumm blieb.
    Draußen zog sie sich ihre blau-weiße Strickjacke über und trat an die Brüstung des Spreearms, in dem sich die Lichter der Hochhäuser spiegelten. Vor ihr stach die Spitze des Fernsehturms in eine dahinfliegende Wolke. Matti umfaßte Catherine, und sie sagte: »Es ist so unwirklich da drin. Mir kommt es vor, als wären wir Gast in einer Enklave gewesen, nicht während wir da saßen, aber jetzt.«
    »Wir können öfter hergehen.«
    Catherine drehte sich zu ihm und sagte zögernd: »Ich weiß nicht, ob ich das will.«
    Daraufhin nahm Matti, was sollte er auch noch sagen, Catherine an die Hand und führte sie zur U-Bahn-Station Märkisches Museum, ein Zug fuhr ein, mit nur wenigen Menschen drin, es war schon Nacht und mitten in der Woche. Sie blieben aber stehen während der Fahrt, dicht bei dicht, knapp nicht umschlungen. Matti atmete den metallischen Geruch des Catherinschen Ohrgehänges, er brachte es, allein durch sein stoßweises Ausatmen, zum leisen Klimpern, worauf Catherine, wie um die Töne besser hören zu können, ihren Kopf ein wenig neigte. Das untere Blättchen schlug an sein Kinn. Er schnappte mit dem Mund danach und umschloß es; Catherine stand, vielleicht aus Angst um ihr Ohrläppchen, ganz starr, da waren sie kurz vor der Haltestelle Senefelder Platz. Als er sich aber weiter nach oben arbeitete, als er die nächsten Schmuckteile kassierte und seinen Gaumen an ihnen rieb und mit seinen Lippen Catherines Ohrläppchen touchierte, begann sie plötzlich, am ganzen Leib zu zittern, und er hielt inne. Das Zittern, das in seinen Mund lief, oder aus dem heraus, dauerte bis Dimitroffstraße, jedenfalls erreichte es da seinen Höhepunkt, dann ebbte es ab, gerade noch rechtzeitig, denn Schönhauser war ja schon ihre Station. Matti gab das Gehänge frei, drückte seinen Daumen an Catherines Becken und die restlichen vier Fingerkuppen in den schmalen Graben, in dem biegsam wie ein Schlauch ihre Wirbelsäule lag, und schob Catherine auf den Bahnsteig und weiter zur Treppe. Die paar Menschen, die da noch waren, mußten denken, sie ginge ihm arrogant voraus, schere sich gar nicht um ihn und ließe ihn wie einen Deppen nach ihr langen; wie man sich doch täuschen kann.
    Es dauerte nach ihrer Heimkehr noch eine Weile, ehe Catherines Verwunderung über das soeben Geschehene sich legte, zwei oder drei Stunden, in denen sie Matti, an diesem und jenem Flecken der Wohnung, wie unter einem Schleier heraus fortwährend verführte. Sie ließ ihn kaum selber handeln, und es schien, als handele auch sie nicht, sondern tue alles im Traum, völlig entrückt.
    Irgendwann am nächsten Vormittag machte er sich dann ans Öffnen seiner Post. Ein Brief war ohne Absender, und sogar ohne Briefmarke. Dafür kam ihm die Schrift auf der Vorderseite bekannt vor, er hatte nur keine Ahnung, woher. Er öffnete den Brief, und nach dem ersten Satz wußte er es, er glaubte, sofort puterrot zu werden, und weil Catherine die ungesunde Veränderung nicht sehen sollte, ging er in die Küche.
    Der erste Satz lautete: »Lieber Matti, es ist viel Zeit vergangen, aber Du magst Dich an mich erinnern vielleicht.«
    Dies war Karin Werths tastende Sprache, und natürlich, dies war ihr Schriftbild, leicht schräge Buchstaben mit mehr Lücken, als Frauen sie gewöhnlich ließen. Matti erinnerte sich, daß er diese Schrift auf seinen alten Aufsätzen geküßt hatte nach dem einen Zusammensein mit ihr; weder hatte er damals ein Bild Karin Werths besessen noch irgendein Geschenk, er hatte nur diese kurzen Anmerkungen in roter Tinte gehabt. Er war in jenen Tagen sogar bereit gewesen, sie für den Ausfluß von Karin Werths Lippen zu halten, und nachdem er einmal geglaubt hatte, diese selber wellten sich ihm entgegen, zerriß er in einer Anwandlung von Selbstschutz, und in einem Anflug von Raserei, sämtliche Aufsätze in kleinste Schnipsel.
    Zu spät, dachte er jetzt nicht ohne Häme, du kommst viel zu spät mit deinem Brief. Gleichzeitig war er aber doch begierig, ihn zu lesen. Er merkte auch, wie sein Herz hämmerte. Plötzlich stand Catherine in der Küche, sie wollte wohl das Frühstück bereiten. Matti besaß nicht die Kühle, in ihrer Gegenwart weiterzulesen, und flüchtete ins Wohnzimmer. Eine fröhliche Frage Catherines flatterte ihm hinterher: Was das denn Wichtiges sei.
    »Nichts Wichtiges.«
    Die Worte hallten in ihm

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