Brüllbeton - Kriminalroman
unabhängig von Kevin und mir sprechen. Ich bitte Sie nur, ihm gegenüber nichts von der Beziehung zwischen Kevin und Mirja zu erwähnen.«
*
Kevin raste mit seinem Sportrad wie ein Verrückter bis hoch an die Ostseeküste, wo die Familie einen Wochenendbungalow hatte. Eine ziemliche Strecke, die er da im Nieselregen zurücklegte, aber ihm schien es nichts auszumachen. Im Gegenteil, es dämpfte seine Wut auf seinen Vater und seinen Zorn auf den Kriminalhauptkommissar Kroll, der das Leben seiner Geliebten so leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte.
Es existierten nur zwei Schlüssel zu dem Anwesen. Einer hing nahezu vergessen im häuslichen Schlüsselschrank, weil die Eltern schon seit Monaten nicht mehr dorthin gefahren waren. Die Zeit der gemeinsamen Wochenendausflügen war für das Ehepaar längst vorbei. Kevin hatte sich den Zweitschlüssel angeeignet, weil er sich dort öfter mit Mirja traf.
Nun saà er allein in dem Ferienhäuschen und schaute mit leerem Blick auf die nebelverhangene Ostsee hinaus. Am Strand dösten einsam ein paar Möwen, und auch auf dem Wasser war heute nichts los. Bei dem Wetter verlieà kein Segelboot den Hafen.
Nur langsam kehrten bei Kevin die Fähigkeit und auch die Bereitschaft zurück, sich zu erinnern. Doch merkwürdigerweise gingen ihm weniger Bilder von Mirja durch den Kopf, vielmehr versuchte er, sich in die Welt seines Vaters hineinzuversetzen. Ihm fiel ein, was er neulich beim ersten Treffen mit dem Kommissar gesagt hatte. Sein Vater hätte irgendwie einen Knacks weg. Wenn das nun eine erbliche Belastung war? Kevin wusste, dass auch er selber stark unter psychischen Schwankungen litt. Da war ihm Mirja immer eine wichtige Stütze gewesen. Und auch seine Stiefmutter Amelie, die ohnehin viel Ãhnlichkeit mit Mirja hatte. Aber sein Vater? Der hatte ihn nie wirklich in den Arm genommen, ihn getröstet, ihm auf die Beine geholfen. Wahrscheinlich kann er nicht einmal sich selber helfen, grübelte Kevin.
Von der Herzschwäche seines Vaters wusste er, auch, dass er regelmäÃig recht starke Tabletten einnehmen musste. Und seine gelegentliche hysterische Reaktion auf bestimmte klassische Musik hatte er auch schon miterlebt. Aber all das reichte doch nicht aus, um in ihm einen Bösewicht, einen Verbrecher, gar einen Mörder zu vermuten.
Und dennoch. Dieser Gedanke lieà Kevin nicht los. Sicherlich war der Vater in geschäftlichen Dingen skrupellos bis an die Grenzen des Erlaubten. Nur so hat er sein Bauimperium mit all den internationalen Kontakten aufbauen können. So manches dunkle Geschäft musste dabei gewesen sein. Vielleicht hat er seinen Spitznamen Beton-Müller wegen seiner Kaltschnäuzigkeit erhalten.
Einmal, erinnerte sich Kevin, sprach ihn ein Kamerad aus dem Radsportverein an: »Du bist doch der Sohn vom Doping-Müller?« Damals hätte er dem am liebsten eins in die Fresse gegeben. Doch nach all dem, was Mirja in letzter Zeit an Interna aus dem väterlichen Betrieb erzählte â immerhin war sie die Chefsekretärin â kamen ihm Bedenken. Da häuften sich so viele Details, dass es langsam an der Zeit war, das Puzzle richtig zusammenzusetzen.
Die intensiven Kontakte zu obskuren Kreisen in Petersburg und in Südfrankreich, die Geschichte mit der Landauer Lagerhalle, die merkwürdigen Säcke mit dem Faserbeton FB 67/Q, die Mirja besonders aufgefallen waren. Dann war da Mörtel, der breitschultrige, brutale Mann mit der Schiebermütze, der sich als Vorarbeiter ausgab, aber nicht auf Müllers Gehaltsliste geführt wurde. Und schlieÃlich in letzter Zeit dieser schleimige Typ, der mit seinem schwarzen Bentley so auffällig unauffällig um das Firmengelände und sogar um das häusliche Anwesen herumkurvte.
Schlagartig hatte Kevin das Gefühl, er müsste Mirjas Vermächtnis fortsetzen. Und das führte seiner Meinung nach zwangsweise immer zu den Säcken mit der Bezeichnung âºFB 67/Qâ¹. Da müsste man ansetzen â aber möglichst ohne dem Kriminalkommissar wieder in die Quere zu kommen.
Und er wollte Mirjas Tod rächen. Doch wie?
*
Kevin beschloss, einen weiteren Tag die Schule zu schwänzen. Das, was er jetzt vorhatte, war wichtiger als der langweilige Lateinunterricht. Er radelte gemächlich nach Hause zurück und kam in der Dunkelheit an. Als er sein Rad an die Hecke lehnte, hörte er aus dem Haus einen
Weitere Kostenlose Bücher