Brüllbeton - Kriminalroman
Hand gehörte der Vergangenheit an. Die mächtigen 24-Spur-Maschinen mit den teuren Zweizollbändern, die wie Wagenräder aussahen, hatten ausgedient. Das alles übernahm jetzt die digitale Elektronik, und da reichte ein Notebook mit einem Programm, in dem die 24 Spuren virtuell nachempfunden wurden. Der Tonmeister konnte jetzt viel feinfühliger in die Klänge eingreifen, viel präziser Schnitte tätigen und eine unendliche Vielzahl von Effekten integrieren. Kroll bekam den Eindruck, als würde die Musik heute an keine technischen Grenzen mehr stoÃen.
Die Mitglieder vom âºString Event Internationalâ¹ saÃen bereits im Aufnahmeraum und probten das neue Stück. Der Tonmeister bat Kroll, sich möglichst unauffällig in eine Ecke des Regieraums zu setzen, damit er die Arbeit nicht störte. Dem Polizisten war das auch recht so, schlieÃlich wollte er niemanden verhören, sondern lediglich die vier Musiker bei der Arbeit beobachten, ihr Verhältnis untereinander näher kennenlernen.
Kroll erkannte das Stück wieder, das die Gruppe damals bei ihrem Auftritt auf dem Radsportfest gespielt hatte, Mozarts Dissonanzenquartett . Ãber die Monitorboxen im Regieraum hörte sich die Musik jedoch viel direkter an, fast schon aggressiv nahe.
Jeder war in sein Spiel vertieft und achtete scheinbar nicht auf den anderen. Man hörte sich gegenseitig über Kopfhörer. Plötzlich unterbrach Grigorij das Spiel und stampfte auf. »Verdammt, Amelie, lernst du es eigentlich nie, dass du hier ein fis spielen musst, kein f ? Ich möchte mal wissen, wo du Geige gelernt hast!«
»Reg dich nicht künstlich auf«, entgegnete Amelie gelassen. »Bei mir in den Noten steht ein f . Es ist dein Arrangement, nicht meins. Wenn du Fehler machst, musst du es nicht anderen vorwerfen.«
Der Widerspruch machte Grigorij noch wütender. »Ach Quatsch, Fehler. Hören muss man das. Und so eine will bei den Berliner Philharmonikern mitspielen? Verdammte Dilettantin!«
Amelie zuckte nur mit der Achsel. Dafür mischte Mateo sich ein: »Nun mach dich nicht wichtiger als du bist, Grigorij. An dieser Stelle kann d-Moll genauso erklingen wie D-Dur, das solltest du als Komponist wissen. Also wäre beides möglich, fis oder f .«
»Ach«, polterte der erste Geiger. »Was wisst ihr Spanier schon von klassischer Musik! D-Dur will ich hören, verdammt noch mal. Und auÃerdem wäre es ganz gut, wenn du dein Cello mal wieder nachstimmst. Das Katzengejaule kann ja kein Mensch ertragen.«
Mateo lag eine scharfe Antwort auf der Zunge, da sprang Chantal auf, legte ihr Instrument zur Seite und sagte in spitzem Ton: »Sind wir hier im Kindergarten? Entweder wir machen unsere Aufnahme wie Profis, oder ihr solltet euch einen neuen Job suchen.«
Jetzt verlor Amelie endlich die Beherrschung und giftete ihre Kollegin an: »Wenn du deine Jobs genauso schnell wechselst, wie deine Liebhaber, dann solltest du einen anderen Beruf wählen. Ich wüsste da schon was für dich â¦Â«
Chantal reagierte schnippisch: »Sieh an, die trauernde Witwe spielt den Moralapostel.« Sie machte sich an Mateo heran und streichelte ihm kokett übers Haar. »Hast doch auch einen Neuen! Aber der würde mir auch gefallen!«
Dem Tonmeister im Regieraum wurde es langsam zu viel. Er drückte den Knopf zur Gegensprechanlage und rief über das Mikrofon in den Aufnahmeraum hinein: »Liebe Leute, streiten könnt ihr euch in der Kneipe. Ich dachte, dieser Take soll heute noch fertig werden, da wäre es besser, wir setzen die Aufnahme fort. Ãbrigens wollte ich ohnehin schon abbrechen, denn was Grigorij gesagt hat, stimmt wirklich. Ihr solltet alle mal eure Instrumente nachstimmen. Und du, Amelie, warst in den letzten Takten zu weit weg vom Mikro. Es klingt dann zu dumpf. Das kann ich später nur schwer mit dem Equalizer ausgleichen. Mein Vorschlag: Ich lasse den Take zurücklaufen zu Buchstabe D. Ihr spielt einfach mit, sowie die Musik läuft. Und diesmal mit einem fis , Amelie. Ich steige dann an passender Stelle in die Aufnahme ein. Und noch eins: spielt einfach über die Stelle hinaus weiter, an der wir später das Schlagzeug und die anderen Instrumente drübersetzen. Bis hin zur Coda. Auch wenn ich das Ãberflüssige später lösche, so bekommen wir einen besseren Ãbergang vom Mozart zum Abba-Titel hin.«
Grigorij war einverstanden.
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