Brüllbeton - Kriminalroman
keine weiteren Gebrechen. Ich weià aber, dass er regelmäÃig von einem Psychologen betreut wurde.«
»Einem Psychologen?«, rief Kroll überrascht. »Wissen Sie Näheres darüber?«
»Nein. Herr Müller hatte mir nur seinen Namen genannt. Herr Dr. Liebinger in der KönigstraÃe. Hat Ihnen Frau Müller das nicht erzählt? Ich weiÃ, dass sie davon Kenntnis hatte.«
»Nein, das ist für mich neu. Das könnte allerdings bedeutend sein. Vielen Dank für den Hinweis. Ich werde der Sache nachgehen.«
*
Um zur Praxis von Herrn Dr. Liebinger zu gelangen, musste Kroll durch das geräumige Treppenhaus eines prächtigen Kaufmannshauses gehen. Er kam in einen Garten, in dem die Hektik der Stadt nicht mehr zu spüren war. In einem denkmalgeschützten Quergebäude hatte der Psychologe eine eigene Welt aufgebaut. Im ansonsten karg eingerichteten Wartezimmer standen Vitrinen, die eine beeindruckende Käfersammlung beherbergten. Die Ansammlung toter, fein säuberlich mit Stecknadeln aufgespieÃter Tiere erinnerte Kroll an Amelies Schmetterlingssammlung, nur war diese hier noch viel umfangreicher.
Der Kommissar hatte keine Zeit, sie im Detail zu studieren, denn der Herr Doktor lieà ihn in sein Arbeitszimmer bitten. Hier sah es weniger nach einer Arztpraxis als nach einem Künstleratelier aus. An den Wänden hingen Acrylgemälde, meist mit Motiven von Segelbooten. Der Signatur nach zu schlieÃen, waren es alles eigene Werke. In einer Ecke stand eine Staffelei, auf der ein halb fertiges Bild ruhte. Daneben lagen frisch benutzte Malutensilien.
»Sie kommen wegen meines verstorbenen Patienten, Herrn Müller, nicht wahr?«, begann Liebinger die Unterredung. »Allerdings wundert es mich, dass sich die Kriminalpolizei mit dem Fall beschäftigt. Soviel ich weiÃ, ist er an akuter Herzinsuffizienz verstorben.«
»Ich kann Ihr Befremden verstehen«, antwortete Kroll. »Aber es ist der Regelfall, dass sich die Kripo einschaltet, wenn das Umfeld eines Todesfalles offene Fragen hinterlässt.«
»Und welche Fragen wären das?«
»Nun, Sie werden verstehen, dass ich über laufende Ermittlungen keine Angaben machen kann. Und eigentlich bin ich hergekommen, um Ihnen Fragen zu stellen, nicht umgekehrt.«
Der Psychologe reagierte gelassen auf Krolls leicht provokanten Ton : »Was macht Sie denn so sicher zu meinen, ich könnte Ihnen helfen?«
Wieder eine Frage, dachte Kroll, sprach es aber nicht aus. Wahrscheinlich sind es Psychologen von Beruf aus gewöhnt, Fragen zu stellen. »Ich würde gern das Krankheitsbild von Herrn Müller und die näheren Umstände erfahren, die dazu geführt haben, dass er sich in Ihre Behandlung begeben hat.«
»Herr Müller litt unter der schweren Ausformung einer speziellen Phobie. Sie werden wissen, dass manche Menschen eine panische Angst vor Mäusen haben oder eine Psychose entwickeln, wenn sie in enge Räume eingeschlossen werden. Bei Herrn Müller handelte es sich um eine recht seltene Angststörung, die wir Melophobie nennen. Das Hören bestimmter Töne oder Melodien versetzt diese Menschen in Panik, oft, weil die Klänge mit traumatischen Erlebnissen â meist in der frühen Kindheit â verbunden waren.«
»Welche Auswirkungen kann das denn haben?«
»Das ist sehr unterschiedlich. Normalerweise reagiert der Kranke spontan aggressiv und schaltet die Musik ab. Im fortgeschrittenen Stadium kann es dazu kommen, dass er, sobald diese Melodie erklingt, anfängt, Gegenstände in seiner Reichweite zerstört, beispielsweise den Radioapparat zertrümmert. Auch kennen wir Fälle von Selbstverletzung. Es kommt immer auf die konkreten Begleitumstände an.«
»Kann das auch tödlich enden?«
»Die Selbstverletzung wohl eher nicht. Wohl aber führt der Angstzustand zu einer erhöhten Belastung des Herzens, und bei Menschen mit ausgeprägter Herzinsuffizienz kann eine Angstattacke zum Tode führen.«
»Dann kann Musik also töten?« Das hatte Kroll eigentlich eher für sich selber gesagt, denn er erinnerte sich an diese Frage, die ihm sein Nachbar vor einiger Zeit gestellt hatte.
Doch der Psychologe hielt die Frage durchaus einer Antwort wert. »Wenn Sie so wollen, ja. Allerdings setzt das voraus, dass sich der Betreffende nicht wehren kann. Denn in der Regel hat er gelernt, Abwehrmechanismen
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