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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zweifellos der berühmteste Dirigent seiner Zeit, war in Venedigs schmuckem kleinem Opernhaus umgebracht worden. Und weil es Brunettis Fall war, würde der Vice-Questore ihn persönlich für jede schlechte Publicity verantwortlich machen, die der Polizei eventuell zuteil wurde.
    Brunetti klopfte und wartete. Als von drinnen die Aufforderung zum Eintreten ertönte, stieß er die Tür auf und sah Patta, wie er es nicht anders erwartet hatte, hinter seinem riesigen Schreibtisch sitzen, über ein Schriftstück gebeugt, dem er durch seine Aufmerksamkeit Bedeutung verlieh. Selbst im Land der gut aussehenden Männer war Patta ein auffallend gut aussehender Mann. Er hatte ein gemeißeltes Römerprofil, weit auseinander stehende dunkle Augen und einen athletischen Körper, obwohl er schon Mitte fünfzig war. Für Pressefotos ließ er sich am liebsten im Linksprofil aufnehmen.
    »Da sind Sie ja endlich«, sagte er, als käme Brunetti um Stunden zu spät statt auf die Minute pünktlich. »Ich dachte schon, ich müsste den ganzen Vormittag auf Sie warten«, fügte er hinzu, was Brunetti etwas übertrieben fand. Als Brunetti zu beiden Bemerkungen schwieg, wollte Patta wissen: »Was gibt's?«
    Brunetti zog den Gazzettino vom Morgen aus der Tasche und antwortete: »Die Zeitung, Signore. Es steht gleich auf der ersten Seite.« Und bevor Patta etwas einwenden konnte, las er vor: »Berühmter Dirigent tot aufgefunden. Mordverdacht«. Dann hielt er seinem Vorgesetzten das Blatt hin.
    Patta blieb ruhig, wies aber die Zeitung mit einer Handbewegung ab. »Das habe ich schon gelesen. Ich meinte, was Sie herausgefunden haben.«
    Brunetti griff in seine Jackentasche und holte sein Notizbuch hervor. Außer Adresse und Telefonnummer der Amerikanerin stand nichts drin, aber solange er vor dem sitzenden Patta stehen musste, konnte der andere nicht sehen, dass die Seiten leer waren. Er leckte betont einen Finger an und blätterte langsam die Seiten um. »Das Zimmer war unverschlossen, es steckte kein Schlüssel. Das heißt, es hätte während der Vorstellung jedermann jederzeit ein- und ausgehen können.«
    »Wo war das Gift?«
    »Wahrscheinlich im Kaffee. Aber das kann ich erst nach der Autopsie und den Laboruntersuchungen genau sagen.«
    »Wann ist die Autopsie angesetzt?«
    »Heute Vormittag, glaube ich. Um elf.«
    »Gut. Was noch?«
    Brunetti blätterte eine Seite um und schaute auf das leere Blatt. »Ich habe mit den Sängern im Theater gesprochen. Der Bariton hat ihn gesehen, ihm aber bloß ›Hallo‹ gesagt. Der Tenor behauptet, ihn gar nicht gesehen zu haben und die Sopranistin sagt, sie habe ihn nur bei ihrer Ankunft im Theater gesehen.« Er blickte auf und sah Patta an, der wartete. »Der Tenor sagt die Wahrheit. Die Sopranistin lügt.«
    »Warum sagen Sie das?«, schnauzte Patta.
    »Weil ich denke, dass es so ist.«
    Mit übertriebener Geduld, als spräche er mit einem besonders begriffsstutzigen Kind, fragte Patta: »Und warum, Commissario, denken Sie, dass es so ist?«
    »Weil jemand beobachtet hat, wie sie nach dem ersten Akt in seine Garderobe ging.« Brunetti machte sich nicht die Mühe klarzustellen, dass es sich dabei bisher nur um die Angaben eines einzelnen Zeugen handelte, die noch nicht bestätigt waren. Er hatte bei seinem Gespräch mit ihr den Eindruck gehabt, dass sie nicht die Wahrheit sagte, vielleicht in diesem Punkt, vielleicht in einem anderen.
    »Dann habe ich noch mit dem Regisseur gesprochen«, fuhr Brunetti fort. »Er hatte eine Auseinandersetzung mit dem Dirigenten, bevor die Vorstellung anfing. Aber danach hat er ihn nicht mehr gesehen. Meiner Ansicht nach sagt er die Wahrheit.« Patta fragte nicht, warum er dieser Ansicht sei.
    »Noch was?«
    »Ich habe heute Nacht noch bei der Polizei in Berlin anrufen lassen.« Er blätterte umständlich in seinem Notizbuch. »Das war um...«
    »Lassen Sie das beiseite«, unterbrach Patta ihn. »Was hatten die zu sagen?«
    »Sie wollen uns heute noch einen ausführlichen Bericht über Wellauer faxen. Alles, was sie über Wellauer und seine Frau haben.«
    »Seine Frau. Haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Nur ein paar Worte. Sie war sehr mitgenommen. Ich glaube nicht, dass man mit ihr hätte reden können.«
    »Wo war sie?«
    »Als ich mit ihr gesprochen habe?«
    »Nein, während der Aufführung.«
    »Im Publikum, vorn im Parkett. Sie sagt, dass sie nach dem zweiten Akt zu ihm hinter die Bühne gegangen sei, aber zu spät kam, um mit ihm zu reden, so dass sie gar nicht

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