Brunetti 01 - Venezianisches Finale
bedeutete, dass sie zu Pattas Getreuen gehörten.
»Und ich möchte Fortschritte sehen bei dieser Sache. Verstehen Sie?«
»Ja, Signore«, antwortete Brunetti ausdruckslos.
»Gut. Das ist dann alles. Ich habe noch viel zu tun und Sie wahrscheinlich auch.«
»Ja, Signore«, wiederholte Brunetti, während er aufstand und zur Tür ging. Er war gespannt, was er wohl als Abschiedswort mit auf den Weg bekommen würde. Hatte Patta nicht seinen letzten Urlaub in London verbracht?
»Und: ›good hunting‹, Brunetti.«
Ja, London. »Thank you, Sir«, sagte er leise und zog die Tür hinter sich zu.
7.
In der folgenden Stunde beschäftigte Brunetti sich damit, in den vier wichtigsten Zeitungen die Berichte über das Verbrechen zu lesen. Il Gazzettino widmete, wie nicht anders zu erwarten, der Geschichte die ganze erste Seite und sah durch diese Tat den Ruf der Stadt aufs Spiel gesetzt. Im Leitartikel hieß es, die Polizei müsse alles daransetzen, den Täter schnell zu finden, nicht so sehr um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, sondern um die Ehre der Stadt wieder herzustellen. Beim Lesen dachte Brunetti, dass Patta sich wohl dieses Blatt zu Gemüte geführt hatte, statt seinen üblichen Osservatore Romano, der nicht vor zehn an den Kiosken zu haben war.
La Repubblica betrachtete das Ereignis im Lichte der jüngsten politischen Entwicklung und deutete den Zusammenhang so zart an, dass nur der Verfasser oder ein Psychologe ihn begreifen konnte. Corriere della Sera tat so, als sei der Mann in seinem Bett gestorben und brachte eine ganzseitige Analyse seines Beitrags zur Musikgeschichte unter besonderer Berücksichtigung seines Engagements für einige moderne Komponisten.
L'Unita hob er sich bis zum Schluss auf. Wie nicht anders zu erwarten, wurde da nach dem ersten geschrieen, was der Redaktion in den Sinn kam, in diesem Fall Rache, die sie, ebenso vorhersehbar, mit Gerechtigkeit verwechselte. Ein Leitartikel wies plump auf die immer gleichen alten Geheimnisse in höchsten Kreisen hin und zerrte, nicht überraschend, den armen alten Sindona ans Licht, den man tot in seiner Gefängniszelle gefunden hatte, um dann die auf der Hand liegende rhetorische Frage zu stellen, ob es nicht eine dunkle Verbindung zwischen diesen beiden ›erschreckend ähnlichen‹ Fällen gebe. Abgesehen von der Tatsache, dass beide Männer alt und an Zyankalivergiftung gestorben waren, gab es Brunettis Ansicht nach wenig Ähnlichkeiten, erschreckend oder nicht.
Nicht zum ersten Mal machte Brunetti sich Gedanken über die möglichen Vorteile einer Pressezensur. Die Deutschen waren in der Vergangenheit ganz gut mit einer Regierung zurechtgekommen, die Zensur verlangte und die amerikanische Regierung schien ähnlich gut mit einer Bevölkerung zu fahren, die sie wollte.
Er wandte sich wieder dem langen Artikel im Corriere zu und warf die drei anderen Zeitungen in den Papierkorb. Er las den Beitrag ein zweites Mal durch und machte sich ein paar Notizen. Wenn er auch nicht der berühmteste Dirigent der Welt war, so nahm Wellauer offenbar doch einen Spitzenplatz ein. Er hatte als Wunderkind des Berliner Konservatoriums vor dem letzten Krieg seine Dirigentenlaufbahn begonnen. Über die Kriegsjahre wurde nicht viel gesagt, außer dass er weiterhin in seinem Heimatland Deutschland dirigiert hatte. Erst in den fünfziger Jahren hatte seine Karriere ihren Aufschwung genommen, er hatte sich dem internationalen Glitzerset angeschlossen, war für ein einziges Konzert von einem Kontinent zum anderen geflogen und dann weiter zu einem dritten, um eine Oper zu dirigieren.
Und inmitten von Flitter und Ruhm war er der vollendete Musiker geblieben, der jedem Orchester, das er dirigierte, äußerste Präzision und Empfindsamkeit abverlangte und gleichzeitig auf absoluter Werktreue bestand. Selbst sein Ruf, herrisch oder schwierig zu sein, verblasste vor dem umfassenden Lob über die absolute Hingabe an seine Kunst.
Der Artikel befasste sich wenig mit seinem Privatleben. Es wurde lediglich erwähnt, dass seine derzeitige Frau seine dritte war und die zweite sich vor zwanzig Jahren das Leben genommen hatte. Als seine Wohnorte wurden Berlin, Gstaad, New York und Venedig angegeben.
Das Foto auf der Titelseite war älteren Datums. Wellauer war darauf von der Seite zu sehen, im Gespräch mit der kostümierten Maria Callas, die offensichtlich Hauptgegenstand des Bildes war. Brunetti fand es etwas merkwürdig, dass man ein mindestens dreißig Jahre altes Foto abgedruckt
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