Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
erinnern kann.«
    »Hat das etwas mit Wellauer zu tun?«, fragte Michele aus jenem Instinkt heraus, der ihn selten im Stich ließ.
    »Ja.«
    Michele ließ ein langes, anerkennendes Pfeifen hören.
    »Dein Fall?«
    »Ja.«
    Wieder das Pfeifen. »Darum beneide ich dich nicht, Guido. Die Presse wird dich bei lebendigem Leib rösten, wenn du nicht herausbekommst, wer es war. Schande für die Republik. Verbrechen gegen die Kunst. Die ganze Latte.«
    Brunetti, der schon drei Tage davon hatte kosten dürfen, begnügte sich mit einem schlichten: »Ich weiß.«
    Michele reagierte unverzüglich. »Tut mir leid, Guido, tut mir leid. Was soll ich meinen Vater fragen?«
    »Ob es Gerede gegeben hat über Wellauer und die Schwestern.«
    »Das übliche Gerede?«
    »Ja, oder irgend etwas anderes. Er war zu der Zeit verheiratet. Ich weiß nicht, ob das wichtig ist.«
    »Mit der, die Selbstmord begangen hat?« Michele hatte also die Zeitungen gelesen.
    »Nein, das war die zweite. Damals war er noch mit Nummer eins verheiratet. Und ich hätte nichts dagegen, wenn dein Vater auch darüber noch etwas wüsste. Aber das war direkt vor dem Krieg, 1938 oder 39.«
    »Hat diese Santina sich nicht irgendwelchen politischen Ärger eingehandelt? Weil sie Hitler beleidigt hat oder so etwas?«
    »Mussolini. Daraufhin wurde sie während des ganzen Krieges unter Hausarrest gestellt. Wenn sie Hitler beleidigt hätte, wäre sie umgebracht worden. Ich möchte gern wissen, in welcher Beziehung sie zu Wellauer stand. Und von ihren Schwestern auch, wenn möglich.«
    »Wie dringend ist das, Guido?«
    »Sehr.«
    »Gut. Ich habe papà heute Morgen gesehen, aber ich kann heute Abend zu ihm gehen. Er wird sich freuen. Wenn man ihn nach Erinnerungen fragt, kann er sich wichtig fühlen. Du weißt ja, wie gern er von früher erzählt.«
    »Ja, stimmt. Er war der einzige, der mir eingefallen ist, Michele.«
    Sein Freund lachte. Schmeichelei blieb Schmeichelei, egal wie viel Wahrheit sie enthielt. »Das werde ich ihm erzählen, Guido.« Wieder ernst fragte er: »Was ist mit Wellauer?« Es war das Äußerste, was Michele sich in Richtung auf eine direkte Frage hin erlauben würde, aber letzten Endes lief es darauf hinaus.
    »Noch nichts bisher. An dem Abend, als es passierte, waren über tausend Menschen im Theater.«
    »Gibt es denn einen Bezug zu dieser Santina?«
    »Ich weiß es nicht, Michele. Und ich werde es nicht wissen, bis ich gehört habe, was dein Vater dazu sagen kann.«
    »Gut. Ich rufe dich heute Abend an, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Wahrscheinlich wird es spät. Soll ich trotzdem anrufen?«
    »Ja. Ich bin zu Hause. Oder Paola. Und vielen Dank, Michele.«
    »Gern geschehen, Guido. Außerdem wird Papà stolz sein, dass du an ihn gedacht hast.«
    »Er ist der einzige.«
    »Das vergesse ich nicht, ihm zu sagen.«
    Keiner von ihnen machte Anstalten, dem anderen zu versichern, sie müssten sich unbedingt bald sehen; keiner hatte die Zeit, durchs halbe Land zu fahren, um einen alten Freund zu besuchen. Stattdessen verabschiedeten sie sich mit gegenseitigen guten Wünschen.
    Nach seinem Gespräch mit Michele stellte Brunetti fest, dass es Zeit war, zu der zweiten Unterredung mit der Witwe Wellauers aufzubrechen. Er hinterließ Miotti eine Nachricht, dass er heute nicht mehr ins Büro zurückkäme; dann kritzelte er noch ein paar Zeilen auf einen Zettel und bat eine der Sekretärinnen, ihn am nächsten Morgen um acht auf Pattas Schreibtisch zu legen.
    Er kam einige Minuten zu spät bei Wellauers Wohnung an. Diesmal machte ihm die Haushälterin auf, die Frau, die bei der Messe zu Wellauers Beerdigung in der zweiten Reihe gesessen hatte. Er stellte sich vor, gab ihr seinen Mantel und fragte, ob er nach seiner Unterhaltung mit der Signora wohl kurz mit ihr sprechen könne. Sie nickte, antwortete lediglich mit einem kurzen »Si« und führte ihn in dasselbe Zimmer, in dem er vor zwei Tagen der Witwe gegenübergesessen hatte.
    Sie stand auf, als er eintrat, kam ihm entgegen und gab ihm die Hand. Die Zeit war inzwischen nicht sehr liebevol l mit ihr umgegangen, dachte Brunetti, als er die dunklen Ringe unter ihren Augen sah und ihre Haut, die rauer und wie ausgelaugt wirkte. Sie ging zu ihrem Platz zurück und Brunetti fiel auf, dass dort nichts herumlag - kein Buch, keine Zeitschrift, kein Nähzeug - sie hatte anscheinend nur dagesessen und auf ihn gewartet, oder auf die Zukunft. Sie setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. Sie hielt ihm das Päckchen

Weitere Kostenlose Bücher