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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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interpretieren soll«, sagte Brunetti.
    »Es hängt davon ab, was Sie unter ›treu‹ verstehen.«
    Ja, da hatte sie wohl recht, aber andererseits hielt er das Wort für relativ eindeutig, selbst in Italien. Er hatte die ganze Sache plötzlich ziemlich satt. »Hatten Sie sexuelle Beziehungen zu anderen, solange Sie mit ihm verheiratet waren?«
    Ihre Antwort kam ohne Zögern. »Nein.«
    Er wusste, dass es von ihm erwartet wurde, darum fragte er: »Warum haben Sie dann gesagt, Sie glauben, dass Sie ihm treu waren?«
    »Das hatte keinen Grund. Ich war dieser vorhersehbaren Fragen schlicht müde.«
    »Und ich der unvorhersehbaren Antworten«, schnauzte er.
    »Ja, das kann ich mir vorstellen.« Sie lächelte und bot ihm damit Waffenstillstand an.
    Da er das Spielchen mit dem Notizbuch nicht gespielt hatte, konnte er nun auch nicht das Ende des Gespräches signalisieren, indem er es in die Tasche steckte. Stattdessen stand er auf und sagte: »Noch eine Sache.«
    »Ja?«
    »Seine Papiere sind Ihnen gestern Vormittag zurückgebracht worden. Ich würde sie mit Ihrer Erlaubnis gern noch einmal ansehen.«
    »Hätten Sie das nicht tun sollen, solange sie bei Ihnen waren?«, fragte sie und machte kein Hehl aus ihrer Verärgerung.
    »Es gab ein Durcheinander auf dem Präsidium. Sie wurden den Übersetzern vorgelegt und dann zu Ihnen zurückgebracht, bevor ich Gelegenheit hatte, sie einzusehen. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Ungelegenheiten bereite, aber ich würde gern jetzt einen Blick darauf werfen, wenn ich darf. Außerdem möchte ich mit Ihrer Haushälterin reden. Ich habe kurz mit ihr gesprochen, als ich kam, aber ich habe noch ein paar Fragen an sie.«
    »Die Papiere sind in Helmuts Büro. Zweite Tür links.« Sie tat, als hätte sie seine Frage zu der Haushälterin überhört, blieb sitzen und streckte ihm auch nicht die Hand hin. Sie sah zu, wie er sich zurückzog und widmete sich wieder dem Warten auf ihre Zukunft.
    Brunetti ging in den Flur und zur zweiten Tür. Beim Eintreten fiel sein Blick als erstes auf den dicken hellbraunen Umschlag der Questura, der noch ungeöffnet auf dem Schreibtisch lag. Er setzte sich und zog den Umschlag zu sich herüber. Erst jetzt blickte er zufällig aus dem Fenster und sah die Dächer, die von ihm weg über die Stadt dahinzuschweben schienen. Ganz in der Nähe war der spitze Glockenturm von San Marco zu erkennen, links die strenge Fassade des Opernhauses. Er riss sich von dem Anblick los und wandte seine Aufmerksamkeit dem Umschlag zu.
    Was er schon in der Übersetzung gelesen hatte, legte er zur Seite. Diese Papiere betrafen, wie er wusste, Verträge, Engagements, Plattenaufnahmen und er hatte sie als unwichtig eingestuft.
    Dann zog er drei Fotos aus dem Umschlag. Wie nicht anders zu erwarten, waren sie in dem Bericht, den er gelesen hatte, nicht erwähnt, wahrscheinlich, weil nichts darauf stand. Das erste zeigte Wellauer mit seiner Frau an einem See. Sie wirkten sonnengebräunt und gesund und Brunetti musste sich ins Gedächtnis rufen, dass der Mann bestimmt schon über siebzig gewesen sein musste, als das Foto gemacht wurde, denn er sah darauf nicht viel älter aus als der Commissario selbst. Auf dem zweiten Bild war ein junges Mädchen zu sehen, das neben einem Pferd stand, einem gutmütig wirkenden Tier, so breit wie hoch. Das Mädchen hatte eine Hand am Zaumzeug des Pferdes und einen Fuß auf halbem Weg zwischen Boden und Steigbügel. Ihr Kopf war in einem merkwürdigen Winkel verdreht, offensichtlich hatte der Fotograf gerade in dem Augenblick gerufen, als sie aufsitzen wollte. Sie war groß und schlank und hatte das helle Haar ihrer Mutter, das in zwei langen Zöpfen unter ihrer Reitkappe hervor hing. Vor lauter Überraschung hatte sie keine Zeit zum Lächeln gehabt und wirkte seltsam düster.
    Das dritte Foto zeigte sie alle drei zusammen. In der Mitte stand das Mädchen, fast so groß wie ihre Mutter, aber selbst in der entspannten Haltung linkisch, hinter ihr die beiden Erwachsenen, die Arme umeinander gelegt. Das Mädchen schien hier etwas jünger zu sein als auf dem anderen Bild. Alle drei sandten ein einstudiertes Lächeln in die Kamera.
    Als letztes zog Brunetti ein ledergebundenes Notizbuch mit goldgeprägter Jahreszahl aus dem Umschlag. Er blätterte es durch. Es war ein deutschsprachiger Kalender und bei vielen Tagen standen Vermerke in der gotischen Schrift, die er auf der Partitur von La Traviata gesehen hatte. Die meisten Notizen waren Namen von Orten und Opern,

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