Brunetti 01 - Venezianisches Finale
hin und meinte dann auf Englisch: »Ach, Entschuldigung, ich hatte vergessen, dass Sie nicht rauchen.«
Er ließ sich dort nieder, wo er beim letzten Mal gesessen hatte, verzichtete aber diesmal auf die Schau mit dem Notizbuch. »Signora, ich muss Ihnen noch ein paar Fragen stellen.« Da sie nichts dazu sagte, fuhr er fort: »Es sind heikle Fragen und es wäre mir lieber, wenn ich sie nicht stellen müsste.«
»Aber Sie wollen trotzdem eine Antwort darauf.«
»Ja.«
»Dann werden Sie wohl fragen müssen, Dottor Brunetti.« Das war, wie er merkte, nur wörtlich gemeint und nicht sarkastisch, daher sagte er nichts darauf. »Warum müssen Sie diese Fragen stellen?«
»Weil ich dadurch vielleicht den finde, der für den Tod Ihres Mannes verantwortlich ist.«
»Spielt es denn eine Rolle?«, fragte sie.
»Spielt was eine Rolle, Signora?«
»Wer ihn umgebracht hat.«
»Spielt es für Sie keine Rolle, Signora?«
»Nein, keine. Er ist tot und nichts bringt ihn wieder. Was kümmert es mich da, wer ihn umgebracht hat, oder warum?«
»Haben Sie denn nicht den Wunsch nach Rache?«, fragte er, bevor ihm einfiel, dass sie keine Italienerin war.
Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihn durch den Rauch ihrer Zigarette an. »Oh, doch, Commissario. Ich habe den dringenden Wunsch nach Rache. Das hatte ich schon immer. Ich glaube, dass die Menschen für das Böse, das sie tun, bestraft werden sollten.«
»Ist das nicht dasselbe wie Rache?«, wollte er wissen.
»Das müssten Sie eigentlich besser beurteilen können als ich, Dottor Brunetti.« Sie wandte sich ab.
Bevor er es richtig merkte, redete er in seiner Ungeduld schon weiter. »Signora, ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen und ich hätte gern aufrichtige Antworten.«
»Bitte, stellen Sie nur Ihre Fragen und ich werde Ihnen Antworten darauf geben.«
»Ich sagte, ich hätte gern aufrichtige Antworten.«
»Gut, dann also aufrichtige Antworten.«
»Ich wüsste gern, wie Ihr Mann zu einigen Spielarten menschlichen Sexualverhaltens stand.«
Die Frage überraschte sie offensichtlich. »Was meinen Sie damit?«
»Ich habe gehört, dass Ihr Mann besonders die Homosexualität ablehnte.«
Er merkte, dass es nicht die Frage war, die sie erwartet hatte. »Ja, das stimmt.«
»Können Sie sich vorstellen, warum?«
Sie drückte ihre Zigarette aus, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Was ist das? Psychologie? Als nächstes erzählen Sie mir, dass Helmut in Wahrheit homosexuell war und all die Jahre über auf die klassische Weise seine Schuldgefühle verborgen hat, indem er Homosexuelle mit seinem Hass verfolgte?« So etwas war Brunetti während seiner Laufbahn tatsächlich oft begegnet, aber er glaubte nicht, dass es hier der Fall war, daher schwieg er. Sie zwang sich zu einem höhnischen Lachen über diese Vorstellung. »Glauben Sie mir, Commissario, er war nicht, wofür Sie ihn halten.«
Das waren nur wenige, wie Brunetti nur zu gut wusste. Er schwieg weiter, neugierig, was sie als nächstes sagen würde.
»Ich leugne nicht, dass er Homosexuelle nicht mochte. Das merkte jeder schnell, der mit ihm arbeitete. Aber das war nicht, weil er die Neigung bei sich selbst befürchtete. Ich war zwei Jahre mit dem Mann verheiratet und ich versichere Ihnen, es war nichts Homosexuelles an ihm. Ich glaube, er hatte etwas dagegen, weil es seiner Vorstellung von der Ordnung des Universums zuwiderlief, einem platonischen Ideal menschlichen Verhaltens.« Brunetti hatte schon seltsamere Erklärungen gehört als diese.
»Schloss sein Missfallen auch Lesben ein?«
»Ja, aber Männer stießen ihn mehr ab, vielleicht, weil ihr Benehmen oft so anstößig ist. Wenn überhaupt, dann hatte sein Interesse an Lesben wohl eher etwas Lüsternes. Das ist bei den meisten Männern so. Aber wir haben darüber nie gesprochen.«
Brunetti hatte im Laufe seines Berufslebens schon mit vielen Witwen zu tun gehabt, aber wenige hatten es fertig gebracht, so sachlich über ihren Mann zu sprechen wie diese Frau. Er fragte sich, ob der Grund dafür in der Frau selbst lag oder in dem Mann, dessen Tod sie nicht zu betrauern schien.
»Gab es irgendwelche Männer, schwule Männer, über die er sich besonders ablehnend geäußert hat?«
»Nein«, antwortete sie sofort. »Es hing offenbar davon ab, mit wem er gerade arbeitete.«
»Hatte er ein berufliches Vorurteil gegen sie?«
»Das wäre in dem Milieu unmöglich. Es gibt zu viele. Helmut mochte sie nicht, aber er konnte mit ihnen arbeiten,
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