Brunetti 01 - Venezianisches Finale
nicht recht ein, wozu das wichtig sein soll, Commissario.«
»Ich habe Ihnen ja erklärt, warum ich es für wichtig halte. Wenn Sie mir die Anschrift nicht geben wollen, finde ich sicher andere Freunde Ihres Mannes, die es tun.«
Sie leierte einen Straßennamen herunter und erklärte, das sei in Berlin; dann wartete sie, während er seinen Stift zückte und über die Zettel hielt, die er noch in der Hand hatte. Als er soweit war, wiederholte sie das Ganze langsam, buchstabierte Wort für Wort, sogar ›Straße‹, was er als eine überflüssige Anspielung auf seine Dämlichkeit wertete.
»War's das dann?«, fragte sie, als er fertig war.
»Ja, Signora. Danke. Kann ich jetzt mit Ihrer Haushälterin sprechen?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich die Notwendigkeit einsehe.«
Er ignorierte ihren Einwand und fragte: »Ist sie noch da?«
Signora Wellauer antwortete nicht, sondern stand auf und ging quer durchs Zimmer, wo an der Seite eine Kordel von der Decke hing. Schweigend zog sie daran und trat dann ans Fenster, das einen Blick über die Dächer der Stadt bot.
Kurz danach ging die Tür auf und die Haushälterin trat ein. Brunetti wartete, dass Signora Wellauer etwas sagte, aber sie blieb reglos am Fenster stehen und beachtete sie beide nicht. Brunetti, dem nichts anderes übrig blieb, sprach so, dass sie hören konnte, was er zu der Frau sagte. »Signora Breddes, ich möchte gern kurz mit Ihnen reden, wenn ich darf.«
Die Frau nickte, sagte aber nichts.
»Vielleicht könnten wir dazu ins Arbeitszimmer gehen«, schlug er vor, doch die Witwe war unnachgiebig und drehte sich nicht um. Er ging zur Tür und bedeutete der Haushälterin vorauszugehen. Dann folgte er ihr durch den Flur zum Arbeitszimmer. Drinnen schloss er die Tür und deutete auf einen Stuhl. Er selbst ging zum Schreibtisch und setzte sich auf den Platz, auf dem er vorhin bei Durchsicht der Papiere gesessen hatte.
Sie war eine unscheinbare Frau Mitte Fünfzig in einem dunklen Kleid, das ebenso Zeichen ihrer Stellung wie ihrer Trauer sein konnte. Die Länge bis zur Wade entsprach nicht der Mode und der Schnitt unterstrich ihre knochige Figur, die schmalen Schultern und die flache Brust. Ihr Gesicht passte zum Körper, die Augen standen etwas zu eng beieinander und die Nase war mehr als nur ein bisschen zu lang. Wie sie da so aufrecht auf der Stuhlkante saß, erinnerte sie ihn an einen der Seevögel mit langen Beinen und langem Hals, wie sie auf den Pfählen längs der Kanäle hockten.
»Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen, Signora Breddes.«
»Signorina«, verbesserte sie automatisch.
»Ich hoffe, es ist Ihnen recht, wenn wir Italienisch sprechen«, sagte er.
»Natürlich. Ich lebe seit zehn Jahren hier.« Ihre Antwort klang etwas beleidigt.
»Wie lange haben Sie für den Maestro gearbeitet, Signorina?«
»Zwanzig Jahre. Zehn in Deutschland und die letzten zehn hier. Als der Maestro die Wohnung hier gekauft hat, bat er mich, herzukommen und mich darum zu kümmern. Ich habe eingewilligt. Ich wäre überallhin gegangen für den Maestro.« Aus der Art, wie sie das sagte, entnahm Brunetti, dass sie das Leben in einer Zehnzimmerwohnung in Venedig als eine Form des Leidens betrachtete, das sie nur aus Ergebenheit für ihren Arbeitgeber auf sich nahm.
»Haben Sie die Verantwortung für den Haushalt?«
»Ja. Ich bin, kurz nachdem er die Wohnung gekauft hatte, hergekommen. Dann kam er selbst und hat seine Anweisungen für die Möblierung und die Malerarbeiten gegeben. Ich habe dafür gesorgt, dass alles organisiert und dann in seiner Abwesenheit in Ordnung gehalten wurde.«
»Und wenn er hier war?«
»Dann auch.«
»Wie oft kam er nach Venedig?«
»Zwei- oder dreimal im Jahr. Selten häufiger.«
»Kam er zum Arbeiten? Zum Dirigieren?«
»Manchmal. Aber auch, um Freunde zu besuchen, oder zur Biennale.« Das klang aus ihrem Mund alles wie ein Katalog irdischer Eitelkeiten.
»Und was hatten Sie zu tun, wenn er hier war?«
»Ich habe gekocht, obwohl wir für Parties einen italienischen Koch hatten. Ich habe die Blumen ausgesucht. Die Arbeit der Mädchen überwacht. Es sind alles Italienerinnen.« Das erklärte wohl die Notwendigkeit, sie zu überwachen, nahm er an.
»Wer hat für den Haushalt eingekauft? Lebensmittel? Wein?«
»Wenn der Maestro hier war, habe ich den Speiseplan gemacht und die Mädchen jeden Morgen zum Rialtomarkt geschickt, um frisches Gemüse zu holen.«
Brunetti dachte, dass sie jetzt vielleicht soweit sei, die Fragen zu
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