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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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peinlich, dass ich schon gehen wollte. Nach zwanzig Jahren würde er mir das doch nicht antun, mich warten lassen wie einen Verbrecher vor dem Richter.« Brunetti sah, wie sich noch in der Erinnerung die Pein auf ihrem Gesicht spiegelte.
    »Endlich, als ich mich schon umgedreht hatte und wieder gehen wollte, sah er auf und tat so, als hätte er mich eben erst bemerkt. Als wäre ich aus dem Nichts aufgetaucht, um ihn etwas zu fragen. Ich habe dann gefragt, wann er wohl zurück sein werde. Leider ließ ich mir meinen Ärger anmerken. Zum ersten Mal in zwanzig Jahren bin ich ihm gegenüber laut geworden. Aber er hat es ignoriert und mir nur gesagt, wann er zurück sein wollte. Und dann war er wohl etwas verlegen, weil er mich so behandelt hatte, denn er sagte, wie schön die Blumen seien. Er hatte immer gern Blumen im Haus, wenn er da war.« Sie blickte an Brunetti vorbei ins Leere und fügte unsinnigerweise hinzu: »Sie werden von Biancat gebracht. Den ganzen Weg über den Canal Grande.«
    Brunetti hatte keine Ahnung, ob diese Mitteilungen ihrem Zorn entsprangen oder ihrem Schmerz, oder beidem. Zwanzig Jahre als Dienstbote geben einem sicherlich das Recht, nicht wie ein Dienstbote behandelt zu werden.
    »Es gab noch andere Dinge, aber ich habe mir damals nichts weiter dabei gedacht.«
    »Was für Dinge?«
    »Er kam mir...« begann sie und überlegte beim Sprechen offenbar, wie sie etwas sagen und gleichzeitig doch nicht sagen konnte. »Er kam mir älter vor. Natürlich war ein Jahr vergangen, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, aber der Unterschied war größer. Er hatte immer so jugendlich gewirkt, so voller Leben. Aber diesmal kam er mir vor wie ein alter Mann.« Um das zu belegen, fügte sie hinzu: »Er hatte angefangen, eine Brille zu tragen. Aber nicht zum Lesen.«
    »Kam Ihnen das merkwürdig vor, Signorina?«
    »Ja, Leute in meinem Alter brauchen normalerweise eine zum Lesen, für die Nähe, aber er hat sie nicht zum Lesen getragen.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil er manchmal, wenn ich ihm seinen Nachmittagstee brachte, beim Lesen war, aber dabei hatte er die Brille nicht auf. Wenn er mich sah, nahm er sie und setzte sie auf die Nase, oder er bedeutete mir nur, das Tablett hinzustellen, als wollte er nicht gestört werden.« Sie hielt inne.
    »Sie sagten, es wären zwei Dinge, Signorina. Darf ich fragen, was das andere war?«
    »Ich glaube, das sollte ich lieber nicht sagen«, antwortete sie nervös.
    »Wenn es nicht wichtig ist, dann spielt es keine Rolle. Aber wenn es wichtig ist, könnte es dazu beitragen, denjenigen zu finden, der dieses Verbrechen begangen hat.«
    »Ich bin nicht ganz sicher, es ist nichts, dessen ich mir ganz sicher wäre«, meinte sie, schon nachgiebiger. »Es ist etwas, das ich eigentlich eher gespürt habe. Zwischen den beiden.« Die Art und Weise, wie sie das letzte Wort aussprach, machte klar, wer der andere Teil von ›beiden‹ war. Brunetti sagte nichts, zum Warten entschlossen.
    »Dieses Mal waren sie anders. Sonst waren sie immer so... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Sie waren sich nah, waren immer zusammen, redeten, taten Dinge gemeinsam, fassten sich an.« Ihr Tonfall enthüllte, wie ungehörig solches Benehmen in ihren Augen für ein verheiratetes Paar war. »Aber als sie diesmal kamen, gingen sie anders miteinander um. Außenstehende hätten das gar nicht gemerkt. Sie waren immer noch sehr höflich zueinander, aber sie berührten sich nie mehr wie sonst immer, wenn es keiner sah.« Außer ihr. Sie sah Brunetti an. »Ich weiß nicht recht, ob das irgendeinen Sinn ergibt.«
    »Ja, ich glaube schon, Signorina. Können Sie sich vorstellen, wie es zu dieser Abkühlung zwischen den beiden gekommen sein könnte?«
    Er sah die Antwort, oder zumindest die Ahnung einer Antwort, in ihren Augen aufblitzen und ebenso schnell wieder verlöschen. Obwohl er es gesehen hatte, konnte er nicht sicher sein, dass sie selbst gemerkt hatte, was da eben passiert war. »Irgendeine Vorstellung?«, bohrte er weiter und sah schon beim Sprechen, dass er zu weit gegangen war.
    »Nein, gar keine.« Sie schüttelte energisch den Kopf, als wollte sie sich von etwas frei machen.
    »Wissen Sie, ob die anderen Hausangestellten das vielleicht beobachtet haben?«
    Sie richtete sich kerzengerade auf. »So etwas würde ich nicht mit Dienstboten besprechen.«
    »Natürlich, natürlich«, murmelte er. »Das habe ich damit bestimmt nicht sagen wollen.« Er merkte, dass es ihr schon Leid tat, ihm auch nur

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