Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
gespielt. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen.«
    »Könnten Sie es etwas genauer sagen?«
    »Es lag an Wellauer. Als hätte ihn plötzlich sein Alter ereilt. Ich habe schon früher unter ihm gespielt. Zweimal. Der beste Dirigent, mit dem ich je gearbeitet habe. Es gibt heute keinen wie ihn, obwohl viele ihn imitieren. Letztes Mal haben wir Cosi gespielt. Wir waren noch nie so gut. Aber diesmal nicht. Er war plötzlich ein alter Mann. Es war, als ob er gar nicht darauf achtete, was er tat. Manchmal, wenn wir zu einem Crescendo kamen, horchte er und deutete dann mit dem Stab auf jeden, der auch nur eine Achtelnote nachhinkte. Das war phantastisch. Aber sonst war es einfach nicht gut. Allerdings hat keiner etwas gesagt. Wir waren uns offenbar stillschweigend einig, so zu spielen, wie es in der Partitur stand und uns ansonsten nach unserem Konzertmeister zu richten. Das hat wohl einigermaßen geklappt. Der Maestro war offenbar zufrieden. Aber es war nicht wie die anderen Male.«
    »Glauben Sie, dass der Maestro es gemerkt hat?«
    »Meinen Sie, ob er wusste, wie schlecht wir geklungen haben?«
    »Ja.«
    »Muss er wohl. Man wird nicht der Welt bester Dirigent und hört nicht, was sein Orchester macht, oder? Aber es war eher so, als ob er die meiste Zeit an etwas anderes dächte. Als wäre er gar nicht richtig da, als passte er einfach nicht auf.«
    »Und am Abend der Vorstellung, ist Ihnen da etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
    »Nein, eigentlich nicht. Wir waren alle so damit beschäftigt, im Takt zu bleiben, damit es nicht noch schlechter klang.«
    »Also nichts? Und er hat auch nichts Eigenartiges zu irgend jemandem gesagt?«
    »Er hat an dem Abend mit keinem von uns gesprochen. Wir haben ihn erst gesehen, als er in den Orchestergraben kam und ans Pult trat.« Er dachte ein Weilchen nach. »Eine Sache fällt mir noch ein, eigentlich kaum der Rede wert.«
    »Ja?«
    »Es war am Ende des zweiten Aktes, nach der großen Szene, in der Alfredo sein beim Spiel gewonnenes Geld Violetta vor die Füße wirft. Ich weiß nicht, wie die Sänger das Ganze durch gestanden haben. Wir im Orchester waren jedenfalls völlig durch den Wind. Aber es ging zu Ende und das Publikum - die Leute haben keine Ohren - fing an zu applaudieren und der Maestro, er lächelte so ein komisches kleines Lächeln, als hätte ihm gerade jemand einen Witz erzählt. Dann legte er den Stab weg. Er warf ihn nicht hin wie sonst. Er legte ihn ganz vorsichtig ab und lächelte wieder. Dann stieg er von seinem Podium und ging hinter die Bühne. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Ich dachte, er lächelte, weil der zweite Akt vorbei war und der Rest vielleicht einfach sein würde. Und dann haben sie uns zum dritten Akt einen neuen Dirigenten geschickt.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich weiß nicht, ob das die Dinge sind, nach denen Sie gesucht haben.«
    Er griff nach seinem Violinkasten und Brunetti sagte: »Noch eines. Ist das den anderen Orchestermusikern auch aufgefallen? Nicht das Lächeln, aber die Veränderung?«
    »Einigen ja, denen von uns, die früher schon mit ihm gearbeitet hatten. Bei den übrigen kann ich es nicht sagen. Wir kriegen hier so viele schlechte Dirigenten, da bin ich mir nicht sicher, ob sie den Unterschied überhaupt merken. Aber vielleicht bin ich ja besonders empfindlich, weil es mich an meinen Vater erinnert.« Er sah Brunettis fragenden Blick und erklärte: »Mein Vater ist siebenundachtzig. Er macht es genauso, schaut uns über seine Brille an, als würden wir ihm etwas verheimlichen und will wissen, was es ist.« Wieder sah er auf die Uhr. »Ich muss los. In zehn Minuten geht der Vorhang auf.«
    »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte Brunetti, obwohl er nicht recht wusste, wie er das eben Gehörte einordnen sollte.
    »Klang für mich alles wie unnützer Klatsch. Weiter nichts. Aber ich hoffe, es hilft Ihnen«, meinte der andere.
    »Kann ich vielleicht während der Vorstellung hier im Theater bleiben, oder gibt es da Schwierigkeiten?«, fragte Brunetti.
    »Nein, ich glaube nicht. Sagen Sie nur Lucia Bescheid, wenn Sie gehen, damit sie hier wieder abschließen kann.« Dann eilig: »Jetzt muss ich aber gehen.«
    »Nochmals vielen Dank.«
    »Keine Ursache.« Sie gaben sich die Hand und der Musiker ging.
    Brunetti blieb in dem Zimmerchen sitzen und plante bereits, dass er die Gelegenheit nutzen würde, um zu sehen, wie viele Leute während einer Vorstellung und in den Pausen hinter der Bühne herumliefen

Weitere Kostenlose Bücher