Brunetti 01 - Venezianisches Finale
das wenige erzählt zu haben. Am besten spielte er es herunter, damit sie keine Skrupel bekam, es zu wiederholen, sollte das je nötig werden, oder zu ergänzen, sollte das je möglich sein. »Ich weiß zu schätzen, was Sie mir erzählt haben, Signorina. Es bestätigt, was wir aus anderen Quellen schon gehört haben. Ich muss Ihnen wohl kaum sagen, dass alles streng vertraulich behandelt wird. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfallen sollte, rufen Sie mich bitte im Präsidium an.«
»Ich möchte nicht, dass Sie denken, ich...«, fing sie an, konnte sich aber nicht dazu durchringen auszusprechen, was er von ihr denken könnte.
»Ich versichere Ihnen, ich denke nur, dass Ihre Loyalität dem Maestro gegenüber ungebrochen ist.« Da es stimmte, war es das mindeste, was er ihr sagen konnte. Daraufhin entspannte sich ihr Gesicht etwas. Er stand auf und streckte ihr die Hand hin. Die ihre war klein und überraschend zerbrechlich, wie ein Vögelchen. Sie brachte ihn durch den Korridor zur Tür, verschwand kurz und kam mit seinem Mantel zurück. »Sagen Sie, Signorina«, fragte er, »was haben Sie jetzt für Pläne? Werden Sie in Venedig bleiben?«
Sie sah ihn an, als sei er ein Irrer, der sie auf der Straße angehalten hatte. »Nein, ich will so schnell wie möglich nach Gent zurück.«
»Wissen Sie schon, wann das sein wird?«
»Die Signora muss entscheiden, was sie mit der Wohnung machen will. Bis dahin bleibe ich noch hier, dann fahre ich nach Hause, wo ich hingehöre.« Während sie das sagte, öffnete sie die Tür, ließ ihn hinaus und schloss sie leise hinter ihm. Auf dem Weg nach unten blieb Brunetti auf dem ersten Treppenabsatz stehen und schaute aus dem Fenster. Nicht weit entfernt breitete der Engel auf dem Glockenturm segnend die Flügel über die Stadt und alle, die darin lebten. Selbst wenn das Exil in der schönsten Stadt der Welt Hegt, dachte Brunetti, bleibt es doch Exil.
16.
Da er schon ganz in der Nähe war, ging Brunetti direkt zum Theater, aß unterwegs nur rasch ein Sandwich und trank ein Bier dazu, nicht weil er richtig Hunger hatte, sondern um das vage Unwohlsein loszuwerden, das ihn immer überkam, wenn er längere Zeit nichts gegessen hatte.
Am Bühneneingang zeigte er seinen Ausweis und fragte, ob Signor Traverso schon da sei. Der Portier sagte ihm, Signor Traverso sei vor einer Viertelstunde gekommen und erwarte den Commissario in der Theaterbar. Dort angelangt, sah er sich einem großen, ausgemergelten Mann gegenüber, der tatsächlich eine gewisse Familienähnlichkeit mit Brunettis Zahnarzt hatte. Der Lärm und die Unruhe durch das ständige Kommen und Gehen von Ensemblemitgliedern, manche schon im Kostüm, machte eine Unterhaltung schwierig und Brunetti fragte, ob es nicht irgendwo ein ruhigeres Plätzchen gebe.
»Tut mir leid«, sagte der Musiker. »Daran hätte ich denken sollen. Wir könnten höchstens in eine der Garderoben gehen, die im Moment nicht benutzt werden.« Er legte einen Schein auf den Tresen und nahm seinen Violinkasten auf. Dann ging er voraus durchs Theater und die Treppe hinauf, die Brunetti am ersten Abend benutzt hatte. Oben kam eine stämmige Frau im blauen Kittel auf sie zu und fragte, was sie wollten.
Traverso sprach kurz mit ihr, erklärte, wer Brunetti war und was sie suchten. Sie nickte und ging ihnen durch einen schmalen Gang voraus. An einer Tür zog sie einen gewaltigen Schlüsselbund aus der Tasche, schloss auf und trat zur Seite, um sie an sich vorbei in ein kleines Zimmerchen zu lassen. Kein Theaterglanz in dieser Kammer, nur zwei Stühle links und rechts von einem niedrigen Tisch sowie eine Bank vor einem Spiegel. Sie setzten sich einander gegenüber auf die Stühle.
»Ist Ihnen bei den Proben irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, fragte Brunetti. Da er nicht schon durch die Fragestellung darauf hinweisen wollte, was er suchte, hatte er sie ganz allgemein formuliert - wie er merkte, so allgemein, dass sie buchstäblich keinen Sinn ergab.
»Meinen Sie an der Aufführung oder am Maestro?«
»An beiden.«
»Die Vorstellung? Derselbe alte Kram. Bühnenbild und Inszenierung waren neu, aber die Kostüme haben wir schon zweimal benutzt. Die Sänger sind allerdings gut, bis auf den Tenor. Den sollte man erschießen. Ist aber nicht sein Fehler. Schlechte Anleitung vom Maestro. Keiner von uns wusste so recht, was er eigentlich machen sollte. Also, das war nicht von Anfang an so, aber ab der zweiten Woche. Ich glaube, wir haben aus dem Gedächtnis
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