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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Tisch lag die neue Ausgabe von Epoca, in der Paola offenbar gelesen hatte. Er setzte sich hin, schlug die Zeitschrift auf, biss von seinem Sandwich ab. Da klingelte das Telefon.
    Kauend trottete er ins Wohnzimmer, in der Hoffnung, das Klingeln würde aufhören, bevor er zum Telefon kam. Beim siebten Mal nahm er ab und meldete sich mit Namen.
    »Hallo, hier ist Brett«, sagte sie eilig. »Tut mir leid, dass ich Sie zu Hause störe, Guido, aber ich würde gern mit Ihnen reden. Wenn es geht.«
    »Ist es wichtig?«, fragte er, wohl wissend, dass sie sonst wahrscheinlich nicht anrufen würde, aber gleichzeitig in der Hoffnung, dass er sich irrte.
    »Ja. Es geht um Flavia.« Auch das war ihm klar. »Sie hat einen Brief von seinem Anwalt bekommen.« Er brauchte nicht zu fragen, von wessen Anwalt. »Und wir haben über die Auseinandersetzung gesprochen, die sie mit ihm hatte.« Das musste wohl Wellauer sein. Brunetti wusste, dass er ihr eigentlich anbieten sollte, sich mit ihr zu treffen, aber ihm fehlte der rechte Wille.
    »Guido, sind Sie noch da?« Er hörte an ihrer Stimme, wie angespannt sie war, auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Ja. Wo sind Sie?«
    »Ich bin bei mir zu Hause. Aber da können wir uns nicht treffen.« Sie stockte und plötzlich wollte er mit ihr reden.
    »Brett, passen Sie auf. Kennen Sie die Giro-Bar, am Campo Santa Marina?«
    »Ja.«
    »Ich bin in einer Viertelstunde da.«
    »Danke, Guido.«
    »Also, in einer Viertelstunde dann«, wiederholte er und legte auf. Er kritzelte ein paar Zeilen für Paola und aß den Rest seines Brotes, während er die Treppe hinunterlief.
    Das Giro war eine verrauchte, trostlose Kneipe, eine der wenigen Bars in der Stadt, die nach zehn noch aufhatten. Vor ein paar Monaten hatte der Besitzer gewechselt und der neue hatte sein Bestes getan, das Lokal mit weißen Vorhängen und flotter Musik aufzumöbeln. Doch dadurch war es nicht zur Szenekneipe geworden, hatte aber aufgehört, ein Treff für die Einheimischen zu sein, wo Freunde auf einen Kaffee oder Drink zusammenkamen. Es konnte weder mit Stil noch mit Charme aufwarten, dafür mit überteuerten Weinen und rauchgeschwängerter Luft.
    Beim Eintreten sah er sie, den Blick auf die Tür gerichtet, an einem Tisch im Hintergrund sitzen. Dabei wurde sie ihrerseits von den drei oder vier jungen Männern beäugt, die, an der Bar stehend, Rotwein aus kleinen Gläsern tranken und mit ihrer extralauten Unterhaltung versuchten, ihr zu imponieren. Er spürte die Blicke im Rücken, während er zu ihrem Tisch ging. Als er ihr herzliches Lächeln sah, war er froh, dass er gekommen war.
    »Danke«, sagte sie schlicht.
    »Erzählen Sie mir von dem Brief.«
    Sie blickte auf den Tisch, wo ihre Hände mit den Handflächen nach unten lagen und bewegte sie nicht, während sie mit ihm sprach. »Er ist von einem Anwalt in Mailand, demselben, der ihn bei der Scheidung vertreten hat. Er schreibt, er habe Informationen, dass Flavia ein ›unmoralisches und widernatürliches Leben‹ führe - das waren seine Worte. Sie hat mir den Brief gezeigt. ›Ein unmoralisches und widernatürliches Leben‹.« Sie sah zu ihm hoch und versuchte zu lächeln. »Das soll wohl ich sein, was?« Sie hob in einer ohnmächtigen Geste die Hand. »Ich kann es nicht glauben«, meinte sie kopfschüttelnd. »Er schreibt, dass sie Anklage gegen sie erheben und darum bitten... vielmehr verlangen würden, dass der Vater wieder das Sorgerecht bekommt. Das war eine amtliche Absichtserklärung.« Sie hielt inne und bedeckte mit einer Hand ihre Augen. »Sie teilen es uns offiziell mit.« Ihre Hand fuhr unwillkürlich zum Mund, als wollte sie die Wörter zurückdrängen. »Nein, nicht uns, nur Flavia. Gegen sie soll das Verfahren wieder aufgenommen werden.«
    Brunetti merkte, dass sich ein Ober näherte und winkte ihn energisch weg. Als der Mann außer Hörweite war, fragte er: »Und was noch?« Sie versuchte die Worte herauszubringen, das sah man förmlich, aber sie schaffte es nicht. Sie blickte auf und grinste nervös, genau wie Chiara, wenn sie etwas angestellt hatte und es ihm beichten musste.
    Dann murmelte sie etwas Unverständliches und senkte den Kopf.
    »Was war das, Brett? Ich habe Sie nicht verstanden.«
    Ihr Blick war auf die Tischplatte gerichtet. »Musste mit jemandem darüber reden. Hab sonst niemand.«
    »Sonst niemand?« Sie hatte einen Großteil ihres Lebens in dieser Stadt verbracht und da gab es niemanden, mit dem sie darüber reden

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