Brunetti 02 - Endstation Venedig
schob eine mit Schlitzen versehene Bratschaufel darunter und ließ die Hälfte der Leber in die Pfanne gleiten, dann trat sie zurück, um keine Ölspritzer abzubekommen. Sie zuckte die Achseln. Das Semester hatte gerade wieder begonnen, und sie hatte offensichtlich keine Lust, in ihrer Freizeit an Studenten zu denken.
Sie rüttelte die Pfanne und fragte: »Wie war die Frau Captain-Doctor?«
Er nahm zwei Gläser aus dem Regal und goß Wein in beide. Dann lehnte er sich gegen den Schrank, gab ihr eins und trank einen Schluck aus seinem, bevor er antwortete: »Sehr jung, und sehr nervös.« Als er sah, daß Paola weiter die Pfanne rüttelte, fügte er hinzu: »Und sehr hubsch.«
Als sie das hörte, nippte sie an ihrem Glas, das sie in der einen Hand hielt, und sah ihn an.
»Nervös? Warum?« Sie trank noch ein Schlückchen Wein, hielt das Glas gegen das Licht, und meinte: »Der hier ist nicht so gut wie der von Mario, oder?«
»Nein«, pflichtete er ihr bei. »Aber dein Vetter Mario ist so sehr damit beschäftigt, sich einen Namen im internationalen Weinhandel zu machen, daß er keine Zeit für so kleine Bestellungen wie unsere hat.«
»Hätte er schon, wenn wir pünktlich bezahlen würden«, blaffte sie.
»Paola, komm. Das war vor sechs Monaten.«
»Und wir haben ihn sechs Monate auf sein Geld warten lassen.«
»Paola, es tut mir leid. Ich dachte, ich hätte die Rechnung bezahlt, und dann habe ich es vergessen. Ich habe mich bei ihm entschuldigt.«
Sie stellte ihr Glas ab und versetzte der Leber einen raschen Stoß.
»Paola, es waren nur Zweihunderttausend Lire. Das bringt deinen Vetter Mario nicht ins Armenhaus.«
»Warum sagst du immer ›dein Vetter Mario‹?«
Brunetti hätte beinah gesagt: »Weil er dein Vetter ist und Mario heißt«, statt dessen stellte er sein Glas auf die Arbeitsplatte und legte die Arme um Paola. Lange blieb sie starr und abweisend. Er verstärkte den Druck seiner Arme, bis sie lockerer wurde, sich gegen ihn lehnte und den Kopf an seine Brust legte.
So standen sie, bis sie ihm schließlich mit der Bratschaufel einen kleinen Rippenstoß gab und sagte: »Die Leber brennt an.«
Er ließ sie los und nahm sein Glas wieder auf.
»Ich weiß nicht, warum sie nervös war, aber der Anblick der Leiche hat sie ziemlich mitgenommen.«
»Würde der Anblick einer Leiche nicht jeden mitnehmen, besonders, wenn man den Menschen gekannt hat?«
»Nein, es war mehr als das. Ich bin sicher, zwischen ihnen war etwas.«
»Was denn?«
»Das Übliche.«
»Naja, du hast gesagt, sie ist hübsch.«
Er lächelte. »Sehr hübsch.«
Sie lächelte.
»Und sehr«, fing er an und suchte nach dem richtigen Wort. Das richtige Wort ergab keinen Sinn. »Und sehr verängstigt.«
»Warum verängstigt?« fragte Paola, während sie die Pfanne zum Tisch trug und auf eine Kachel stellte. »Wovor hat sie Angst? Daß man sie verdächtigen würde, ihn umgebracht zu haben?«
Er holte das große hölzerne Schneidebrett, das neben dem Herd stand, und trug es zum Tisch. Dann setzte er sich hin, schlug das darübergebreitete Küchentuch zurück und deckte den Halbkreis goldfarbener, noch warmer Polenta auf, die gerade fest wurde. Paola brachte einen Salat und die Weinflasche und goß ihnen beiden nach, bevor sie sich zu ihm setzte.
»Nein, ich glaube, das ist es nicht«, sagte er, während er sich Leber und Zwiebeln auf den Teller tat, dazu ein großes Stück Polenta. Er spießte ein Stück Leber auf seine Gabel, schob mit dem Messer Zwiebeln darauf und begann zu essen. Wie es seine Angewohnheit war, sprach er nicht, bis sein Teller leer war. Als die Leber aufgegessen war und er mit dem Rest seiner zweiten Portion Polenta die Soße auftunkte, sagte er: »Ich glaube, sie weiß oder ahnt vielleicht, wer ihn umgebracht hat. Oder warum er umgebracht wurde.«
»Wie kommst du darauf?«
»Wenn du ihr Gesicht gesehen hättest, als sie ihn sah. Nein, nicht als sie sah, daß er tot war, und daß es wirklich Foster war, sondern als sie sah, was ihn umgebracht hatte - sie war einer Panik nah. Das war zuviel.«
»Zuviel?«
»Sie hat sich übergeben.«
»An Ort und Stelle?«
»Ja. Komisch, nicht?«
Paola dachte ein Weilchen nach, bevor sie antwortete. Sie trank ihren Wein aus und goß sich noch ein halbes Glas nach. »Ja. Das ist eine komische Reaktion auf den Tod. Und sie ist doch Ärztin?«
Er nickte.
»Das paßt nicht zusammen. Wovor könnte sie Angst haben?« fragte sie.
»Gibt es Nachtisch?«
»Feigen.«
»Ich liebe
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