Brunetti 02 - Endstation Venedig
um ihre Zigaretten zu bezahlen.«
Brunetti wußte das alles. Er hatte seine achtzehn Monate abgeleistet.
Ambrogiani bemerkte rasch Brunettis erlahmendes Interesse. »Ich sage das, weil es eine Erklärung dafür ist, wie die Amerikaner uns sehen. Ihre jungen Männer - und Frauen wohl auch - melden sich wahrscheinlich alle freiwillig. Es ist für sie ein Beruf. Sie machen das gern. Sie bekommen Geld, genug Geld, um davon leben zu können. Und viele sind stolz auf ihren Beruf. Und was sehen sie dann hier? Junge Männer, die lieber Fußball spielen oder ins Kino gehen würden, aber statt dessen etwas machen müssen, was sie verachten und darum schlecht machen. Also denken sie, wir seien alle faul.«
»Und?« warf Brunetti rasch ein.
»Und deshalb verstehen sie uns nicht und denken schlecht von uns, aus Gründen, die wir nicht verstehen können.«
»Sie sollten sie verstehen. Sie gehören zum Militär«, sagte Brunetti.
Ambrogiani zuckte die Achseln, als wollte er sagen, daß er in allererster Linie Italiener sei.
»Ist es denn ungewöhnlich, daß man Sie die Akte nicht einsehen läßt, wenn es eine gibt?«
»Nein. In solchen Dingen sind sie uns normalerweise nicht so gern behilflich.«
»Ich weiß nicht recht, was Sie mit ›solchen Dingen‹ meinen, Maggiore.«
»Verbrechen, in die Amerikaner außerhalb des Stützpunkts verwickelt werden.«
Das konnte man von dem jungen Mann, der tot in Venedig lag, sicher sagen, aber Brunetti fand die Wortwahl merkwürdig. »Kommt das häufig vor?«
»Nein, eigentlich nicht. Vor ein paar Jahren waren mal ein paar Amerikaner in einen Mordfall verwickelt. Ein Afrikaner. Sie haben ihn mit Brettern zu Tode geprügelt. Sie waren betrunken. Der Afrikaner hatte mit einer weißen Frau getanzt.«
»Wollten sie ihre Frauen schützen?« fragte Brunetti, ohne seinen Sarkasmus zu verbergen.
»Nein«, sagte Ambrogiani. »Es waren Schwarze. Die Männer, die ihn erschlagen haben, waren Schwarze.«
»Was wurde aus ihnen?«
»Zwei haben zwölf Jahre bekommen. Einer wurde freigesprochen.«
»Wer hat sie vor Gericht gestellt? Die Amerikaner oder wir?« wollte Brunetti wissen.
»Wir, zu ihrem Glück.«
»Warum zu ihrem Glück?«
»Weil sie von einem Zivilgericht verurteilt wurden. Da sind die Strafen viel niedriger. Und die Anklage lautete auf Totschlag. Er hatte sie provoziert, hat auf ihrem Auto herumgeschlagen und sie angeschrieen. Daraufhin haben die Richter entschieden, daß sie auf eine Bedrohung reagiert haben.«
»Wie viele waren es denn?«
»Drei Soldaten und ein Zivilist.«
»Schöne Bedrohung«, sagte Brunetti.
»Die Richter haben entschieden, daß es eine war. Und haben es berücksichtigt. Die Amerikaner hätten sie für zwanzig bis dreißig Jahre eingelocht. Militärgerichte lassen nicht mit sich spaßen. Außerdem waren sie schwarz.«
»Spielt das immer noch eine Rolle?«
Achselzucken. Eine hochgezogene Augenbraue. Wieder Achselzucken. »Die Amerikaner werden Ihnen sagen, nein.« Ambrogiani trank noch einen Schluck Wasser. »Wie lange bleiben Sie?«
»Heute. Morgen. Gibt es noch anderes in dieser Art?«
»Gelegentlich. Normalerweise werden Straftaten auf dem Stützpunkt abgehandelt. Sie machen das selbst, es sei denn, es wächst ihnen über den Kopf oder ein italienisches Gesetz wurde verletzt. Dann bekommen wir einen Teil davon.«
»Wie bei der Sache mit dem Schulleiter?« fragte Brunetti; er erinnerte sich an einen Fall, der vor einigen Jahren Schlagzeilen gemacht hatte, irgend etwas mit dem Direktor ihrer Grundschule, den man wegen Kindesmißbrauch angeklagt und verurteilt hatte, die Einzelheiten waren Brunetti nicht mehr gegenwärtig.
»Ja, wie bei dieser Sache damals. Aber normalerweise handeln sie die Dinge selbst ab.«
»Diesmal nicht«, meinte Brunetti trocken.
»Nein, diesmal nicht. Da er in Venedig umgebracht wurde, gehört er Ihnen, es ist Ihr Fall. Aber sie werden mitmischen wollen.«
»Warum?«
»Public Relations«, antwortete Ambrogiani mit dem englischen Begriff. »Und weil alles im Wandel ist. Wahrscheinlich vermuten sie, daß sie nicht mehr lange hierbleiben werden, hier nicht und nirgends in Europa, und da wollen sie nicht, daß etwas passiert, wodurch ihr Bleiben noch mehr abgekürzt werden könnte. Sie wollen keine negative Propaganda.«
»Es sieht nach Raub aus«, sagte Brunetti.
Ambrogiani sah Brunetti lange und fest an. »Wann ist denn in Venedig zuletzt jemand bei einem Raubüberfall umgebracht worden?«
Wenn Ambrogiani die Frage so
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