Brunetti 02 - Endstation Venedig
meine ich.«
Sie schürzte die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. »Ich weiß es noch nicht. Ich habe mich bei einigen Krankenhäusern beworben. Und es gibt immer noch die Möglichkeit, eine eigene Praxis aufzumachen. Oder ich könnte weiterstudieren. Ich denke nicht weiter darüber nach.«
»Hängt das mit Sergeant Fosters Tod zusammen?«
Sie schob mit dem Finger ihr Stethoskop hin und her, sah ihn an, dann wieder auf ihre Hand.
»Doctor Peters«, begann er, nicht sicher, wie sich eine solche Rede auf englisch anhören würde. »Ich weiß nicht genau, was hier eigentlich vorgeht, aber ich weiß, daß Sergeant Foster nicht von einem Straßenräuber mehr oder weniger versehentlich umgebracht wurde. Er wurde ermordet, und wer immer der Täter ist, er hat etwas mit dem amerikanischen Militär zu tun oder mit der italienischen Polizei. Und ich glaube, Sie wissen etwas über die Hintergründe, die zu seinem Tod geführt haben. Ich möchte gern, daß Sie mir sagen, was Sie wissen oder vermuten. Oder wovor Sie Angst haben.« Die Worte klangen in seinen eigenen Ohren bleischwer und gekünstelt.
Sie blickte zu ihm herüber, während er sprach, und in ihren Augen sah er einen Schatten dessen, was er an dem Abend auf San Michele gesehen hatte. Sie wollte etwas sagen, hielt inne und blickte wieder auf ihr Stethoskop. Nach einer langen Pause schüttelte sie den Kopf und meinte: »Ich glaube, Sie messen meiner Reaktion zuviel Gewicht bei, Mr. Brunetti. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, wenn Sie meinen, ich hätte vor irgend etwas Angst.« Und dann, wie um sie beide zu überzeugen: »Ich habe keine Ahnung, warum Mike umgebracht wurde oder wer ihn hätte umbringen wollen.«
Er blickte auf ihre Hand und sah, daß sie den schwarzen Gummischlauch, der zu der flachen Scheibe am Ende des Instruments führte, so fest umgebogen hatte, daß er ganz grau aussah. Sie merkte, wo er hinsah, und folgte seinem Blick bis zu ihrer Hand, deren Griff sie daraufhin langsam lockerte, bis der Schlauch wieder gerade und das Gummi schwarz war. »Und jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen. Ich habe noch einen Patienten.«
»Aber sicher, Doctor«, sagte er und mußte einsehen, daß er verloren hatte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, was Sie mir sagen wollen, oder Sie mich sonst sprechen wollen, können Sie mich in der Questura in Venedig erreichen.«
»Danke«, sagte sie, stand auf und ging zur Tür. »Wollen Sie den Artikel fertig lesen?«
»Nein.« Er erhob sich und ging ebenfalls zur Tür, wo er ihr die Hand hinstreckte. »Wie gesagt, wenn Ihnen noch irgend etwas einfällt.«
Sie nahm seine Hand, lächelte und sagte nichts. Er sah ihr nach, als sie nach links den Flur hinunterging und im angrenzenden Zimmer verschwand, aus dem die Stimme einer Frau zu hören war, die leise und beruhigend auf jemanden einredete, wahrscheinlich auf ein krankes Kind.
Draußen wartete der Fahrer, in eine Zeitschrift vertieft. Er sah auf, als Brunetti die hintere Wagentür öffnete. »Wohin jetzt, Commissario?«
»Hat diese Mensa heute geöffnet?« Er hatte ziemlichen Hunger und stellte erst jetzt fest, daß es schon nach eins war.
»Ja, Commissario. Der Streik ist beendet.«
»Wer hatte denn da gestreikt?«
»Die CGL«, erklärte der Fahrer, also die größte kommunistische Gewerkschaft.
»Die CGL?« wiederholte Brunetti erstaunt. »Auf einem amerikanischen Stützpunkt?«
»Ja«, sagte der Fahrer und lachte. »Nach dem Krieg haben sie erst mal Leute eingestellt, die etwas Englisch konnten, und die Gewerkschaften zugelassen, ohne sich groß darum zu kümmern. Als ihnen dann aufging, daß die CGL kommunistisch war, haben sie keine Leute mehr eingestellt, die darin Mitglied waren. Aber die es immer noch sind, können sie nicht so leicht loswerden. Viele arbeiten in der Mensa. Das Essen ist tadellos.«
»Also gut, bringen Sie mich hin. Es ist doch nicht weit?«
»Etwa zwei Minuten«, antwortete der Fahrer und fuhr schon los, indem er den Wagen erneut scharf wendete und zurück auf eine Straße lenkte, die Brunettis Meinung nach eine Einbahnstraße war.
Linkerhand kamen sie an zwei überlebensgroßen Statuen vorbei, die er vorher nicht bemerkt hatte. »Wer sind die beiden?« wollte er wissen.
»Wer der Engel mit dem Schwert ist, weiß ich nicht, aber das andere ist die heilige Barbara.«
»Die heilige Barbara? Was macht die denn hier?«
»Das ist doch die Schutzpatronin der Artilleristen. Ihr Vater wurde vom Blitz getroffen, als er sie enthaupten
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