Brunetti 02 - Endstation Venedig
ich weiß«, sagte sie. »Es ist unglaublich, nicht?«
»Bist du schon mal dort gewesen?«
»Vor Jahren. Mit den Alvises.« Sie bemerkte seinen fragenden Blick und erklärte: »Der Colonnello, als er in Padua stationiert war. Es war irgendeine Party im Offiziersclub, für italienische und amerikanische Offiziere. Vor etwa zehn Jahren.«
»Daran erinnere ich mich gar nicht.«
»Kannst du auch nicht, du warst nicht dabei. Das war, als du in Neapel warst, glaube ich. Ist es immer noch genauso?«
»Kommt drauf an, wie es damals war«, sagte er lächelnd.
»Ach, hör auf, Guido. Wie war es?«
»Es war sehr sauber, und alle haben viel gelächelt.«
»Gut«, meinte sie und rührte weiter. »Dann hat sich nichts verändert.«
»Ich frage mich, warum sie immer soviel lächeln.« Das war ihm auch bei seinen USA-Besuchen aufgefallen.
Sie drehte ihrem Risotto den Rücken zu und sah ihn an. »Warum sollten sie nicht lächeln, Guido? Denk doch mal nach. Sie sind das reichste Volk der Erde. In der Politik müssen alle anderen sich ihnen unterordnen, und irgendwie haben sie sich eingeredet, daß alles, was sie in ihrer ziemlich kurzen Geschichte je getan haben, keinem anderen Zweck diente als dem allgemeinen Wohl der Menschheit. Warum sollten sie also nicht lächeln?« Sie wandte sich wieder dem Herd zu und knurrte ärgerlich, als sie merkte, daß der Reis anbackte. Sie goß etwas Brühe dazu und rührte einige Sekunden kraftig.
»Sind wir hier auf einer Versammlung der roten Zellen?« fragte er höflich. Obwohl sie politisch im allgemeinen einer Meinung waren, wählte Brunetti immer die Sozialisten, während Paola eisern die Kommunisten wählte. Aber seit dem Ableben des Systems und dem Tod der Partei hatte er angefangen, sie ein bißchen auf die Hörner zu nehmen.
Sie würdigte ihn keiner Antwort.
Er holte Teller aus dem Regal, um den Tisch zu decken. »Wo sind die Kinder?«
»Beide bei Freunden.« Und bevor er noch fragen konnte, erklärte sie: »Ja, beide haben angerufen und um Erlaubnis gefragt.« Sie stellte das Gas unter dem Reis ab, fügte ein ordentliches Stück Butter hinzu und schüttete ein Tellerchen fein geriebenen Parmigiano Reggiano hinein. Dann rührte sie, bis beides sich im Reis aufgelöst hatte und tat ihn in eine Schüssel, die sie auf den Tisch stellte. Schließlich zog sie ihren Stuhl hervor, setzte sich und drehte den Vorlegelöffel zu ihm. »Mangia, ti fa bene«, sagte sie, eine Aufforderung, die Brunetti schon immer mit Freude erfüllt hatte.
Er nahm sich reichlich. Er hatte viel gearbeitet und den ganzen Tag in einem fremden Land verbracht, warum sollte er sich also den Risotto nicht schmecken lassen? Von der Tellermitte aus bearbeitete er den Reis in konzentrischen Kreisen mit seiner Gabel und schob ihn zum schnelleren Abkühlen an den Tellerrand. Er führte die Gabel zweimal zum Mund, seufzte anerkennend und aß weiter.
Als Paola sah, daß er nicht mehr aus Hunger, sondern nur noch zum Genuß aß, sagte sie: »Du hast mir noch gar nicht erzahlt, wie dein Ausflug nach Amerika war.«
Den Mund voll Reis, antwortete er: »Verwirrend. Die Amerikaner sind sehr höflich und behaupten, mir helfen zu wollen, aber niemand scheint etwas zu wissen, was mir weiterhelfen konnte.«
»Und die Ärztin?«
»Die hübsche?« fragte er grinsend.
»Ja, Guido, die hübsche.«
Als er merkte, daß er damit nicht mehr ankam, meinte er nur: »Ich glaube immer noch, daß sie diejenige ist, die mir sagen kann, was ich wissen will. Aber sie will nicht reden. Ihre Militärzeit ist in sechs Monaten vorbei, dann ist sie wieder in Amerika, und alles liegt hinter ihr.«
»Und er war ihr Geliebter?« fragte Paola mit einem Schnauben, das demonstrieren sollte, für wie unwahrscheinlich sie es hielt, daß die Ärztin nicht helfen würde, wenn sie könnte.
»Scheint so.«
»Dann bin ich nicht so sicher, daß sie einfach ihre Sachen packen und ihn vergessen wird.«
»Vielleicht ist es ja etwas, was sie nicht wissen will.«
»Was zum Beispiel?«
»Nichts. Oder sagen wir, nichts, was ich erklären könnte.« Er hatte beschlossen, ihr nichts von den beiden Plastikbeuteln zu erzahlen, die er in Fosters Wohnung gefunden hatte; das war etwas, was niemand wissen sollte. Außer demjenigen, der den Boiler aufgeschraubt, das Verschwinden der Tüten festgestellt und dann die Schrauben wieder eingesetzt hatte. Er zog die Reisschüssel zu sich heran. »Soll ich das aufessen?« fragte er, obwohl er kein Detektiv sein mußte, um
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