Brunetti 02 - Endstation Venedig
die Antwort zu kennen.
»Nur zu. Mir ist es ganz lieb, wenn nichts übrigbleibt, und dir doch auch.«
Wahrend er den Risotto aufaß, nahm sie die Schüssel vom Tisch und stellte sie in den Ausguß. Er schob zwei Bastmatten auf dem Tisch zurecht, damit Paola den Bratentopf aus dem Herd nehmen und daraufstellen konnte.
»Was hast du jetzt vor?«
»Ich weiß es noch nicht. Abwarten, was Patta macht«, sagte er, während er ein Stück Kalbshaxe abschnitt und auf ihren Teller legte. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihm, daß es genug für sie sei. Er schnitt zwei große Stücke für sich ab, griff nach dem Brot und begann zu essen.
»Was hat denn Pattas Reaktion damit zu tun?« fragte sie.
»Ach, du süße Unschuld du«, scherzte er. »Wenn Patta mich von diesem Fall abzubringen versucht, kann ich sicher sein, daß jemand die Sache vertuscht haben möchte. Und da unser Vice-Questore nur auf Stimmen von ganz oben hört - je weiter oben, desto schneller seine Reaktion -, weiß ich dann auch, daß derjenige, der die Akte geschlossen haben möchte, über eine gewisse Macht verfügt.«
»Wer zum Beispiel?«
Er nahm sich noch ein Stück Brot und stippte damit den Bratensaft von seinem Teller. »Da weiß ich nicht mehr als du, aber mir wird ganz unbehaglich bei dem Gedanken, wer es sein könnte.«
»Wer denn?«
»Ich weiß es nicht, nicht genau. Aber wenn das amerikanische Militär beteiligt ist, kannst du sicher sein, daß es einen politischen Hintergrund hat, und das heißt, die Regierung. Deren Regierung. Was wiederum bedeutet, die unsere auch.«
»Und darum ein Anruf bei Patta?«
»Ja.«
»Und folglich Ärger?«
Es war nicht Brunettis Sache, auf etwas zu antworten, was sich von selbst verstand.
»Und wenn Patta nicht versucht, dich abzuhalten?«
Brunetti zuckte die Achseln. Dann würde er abwarten.
Paola räumte die Teller ab. »Nachtisch?«
Er schüttelte den Kopf. »Wann kommen die Kinder?«
»Chiara kommt um neun«, sagte Paola, während sie in der Küche hantierte. »Raffaele habe ich gesagt, er soll um zehn hier sein.« Die unterschiedlichen Formulierungen, die sie gebrauchte, sprachen Bände.
»Hast du mit seinen Lehrern gesprochen?« fragte Brunetti.
»Nein. Es ist noch zu früh im Schuljahr.«
»Wann ist der erste Elternabend?«
»Ich weiß es nicht. Der Schrieb von der Schule muß hier irgendwo herumliegen. Ich glaube, im Oktober.«
»Was macht er denn so?« Noch während er das fragte, hoffte er, sie würde die Frage einfach beantworten und nicht zurückfragen, wie er das meinte, denn das wußte er selbst nicht.
»Keine Ahnung, Guido. Er redet nie mit mir, nicht über die Schule, nicht über seine Freunde, nicht über das, was er macht. Warst du in seinem Alter auch so?«
Er überlegte, wie es gewesen war mit Siebzehn. »Ich weiß nicht, wahrscheinlich war ich auch so. Aber dann habe ich die Mädchen entdeckt und alles vergessen, was mit Wut und Unverstandensein zu tun hatte, oder was es gerade war. Sie sollten mich nur mögen. Das war das einzig Wichtige für mich.«
»Waren es viele?« wollte sie wissen.
Er hob die Schultern.
»Und haben sie dich gemocht?«
Er grinste.
»Ach, hör auf, Guido, beschäftige dich mit irgendwas. Geh fernsehen.«
»Ich hasse Fernsehen.«
»Dann hilf mir beim Abwasch.«
»Ich liebe Fernsehen.«
»Guido«, wiederholte sie, noch nicht ärgerlich, aber kurz davor, »steh jetzt auf und geh mir aus dem Weg.«
Beide hörten einen Schlüssel im Schloß. Es war Chiara, die geräuschvoll die Tür aufstieß und beim Hereinkommen ein Schulbuch fallen ließ. Sie kam durch den Flur in die Küche, küßte ihre Eltern und stellte sich dann neben Brunetti, den Arm auf seine Schulter gelegt. »Gibt's hier irgendwas zu essen, mamma ?« wollte sie wissen.
»Hat Luisas Mutter euch nichts gegeben?«
»Doch, aber das ist Stunden her. Ich bin halb verhungert.«
Brunetti legte den Arm um sie und zog sie auf seinen Schoß. Dann knurrte er mit heiserer Böse-Bullen-Stimme: »So, jetzt hab ich dich. Gestehe. Wohin läßt du's verschwinden?«
»Oh, papà, hör auf«, quietschte sie vergnügt. »Ich esse es nur. Aber dann kriege ich wieder Hunger. Du nicht?«
»Dein Vater wartet damit normalerweise mindestens eine Stunde, Chiara«, warf Paola ein, und etwas freundlicher fragte sie: »Obst? Ein Sandwich?«
»Beides«, bat Chiara.
Bis ihre Tochter ein Sandwich - ein dickes Ding, gefüllt mit Schinken, Tomate und Mayonnaise - gegessen und noch zwei Äpfel verdrückt
Weitere Kostenlose Bücher