Brunetti 02 - Endstation Venedig
Höflichkeit war, einer säuerlichen Kreatur, von der sie Grunzer und düstere Blicke erwartete. Vielleicht nicht gerade der fröhlichste Partner, aber immerhin beachtete er sie nicht und ließ sie schlafen. Doch am Sonntag würde sein Platz von einem Menschen eingenommen, der - schon das Wort weckte ihren Abscheu - quietschvergnügt war. Befreit von Arbeit oder Verantwortung, kam ein ganz anderer Mann zum Vorschein: freundlich, verspielt, oft auch liebebedürftig. Sie konnte ihn nicht ausstehen.
An diesem Sonntag war er um sieben Uhr wach und überlegte, was er mit dem Geld anfangen könnte, das er im Casinò gewonnen hatte. Er konnte seinem Schwiegervater zuvorkommen und Chiara einen Computer kaufen. Er konnte sich selbst einen neuen Wintermantel kaufen. Sie konnten alle gemeinsam im Januar eine Woche in die Berge fahren. Eine halbe Stunde blieb er noch liegen und gab das Geld immer wieder aus, bis ihn schließlich Kaffeedurst aus dem Bett trieb.
Summend ging er in die Küche, nahm den größten Topf vom Bord, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf den Herd, daneben einen mit Milch. Dann stapfte er ins Bad. Als er wieder herauskam, die Zähne geputzt, das Gesicht vom kalten Wasser gerötet, blubberte der Kaffee gerade auf und erfüllte die Wohnung mit seinem Duft. Er goß ihn in zwei große Tassen, tat Milch und Zucker dazu und trug sie ins Schlafzimmer. Dort stellte er sie auf das Tischchen neben ihrem Bett und kroch wieder unter die Decke, wo er mit den Kissen kämpfte, bis er sie so zurechtgeklopft hatte, daß er halbsitzend seinen Kaffee trinken konnte. Er schlürfte hörbar, ruckte sich in eine bequemere Lage und flötete sanft: »Paola.«
Aus dem länglichen Paket neben ihm kam kein Laut.
»Paola«, wiederholte er etwas lauter.
Schweigen.
»Hmmmm, so guter Kaffee. Ich muß noch einen Schluck davon trinken.« Und das tat er dann auch ziemlich laut. Ein Geräusch drang aus dem Paket, ein recht bedrohliches. Er beachtete es nicht und nippte an seinem Kaffee. Dann stellte er die Tasse vorsichtig ab, damit er nichts verschüttete bei dem, was jetzt garantiert kommen würde. »Hmm«, machte er noch, bevor das Paket explodierte und Paola sich wie ein großer Fisch auf den Rücken warf, wobei sie den linken Arm quer über seine Brust streckte. Er drehte sich um, nahm die zweite Tasse vom Tischchen und gab sie ihr in die Hand, um sie ihr gleich wieder abzunehmen und festzuhalten, während seine Angetraute sich aufsetzte.
Diese Szene hatte zum erstenmal am zweiten Sonntag nach ihrer Heirat stattgefunden, als sie noch in den Flitterwochen waren und er sich über seine schlafende Eheliebste gebeugt hatte, um an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. Da hatte ihn die stahlharte Stimme, mit der sie gesagt hatte: »Wenn du nicht sofort aufhörst, reiße ich dir die Leber raus und esse sie«, darüber aufgeklärt, daß ihre Flitterwochen vorbei waren.
Wie sehr er sich auch bemühte, was er allerdings nicht sehr ernsthaft tat, verstand er doch nie, weshalb sie so wenig Sympathie für das aufbrachte, was er gern als sein wahres Ich ansah. Sonntag war der einzige Tag, an dem er sich nicht unmittelbar mit Tod und Unglück abgeben mußte, weshalb er daran festhielt, daß der Mann, der da aufwachte, der echte war, der wahre Brunetti, und er darum den anderen, diesen Mr. Hyde, als nicht im mindesten typisch für sein inneres Ich abtun konnte. Paola wollte davon nichts wissen.
Während sie ihren Kaffee schlürfte und versuchte, die Augen aufzubekommen, stellte er das Radio an und hörte die Morgennachrichten, obwohl er wußte, daß sie ihm wahrscheinlich die Laune verderben würden, bis sie der ihren glich. Wieder drei Morde in Kalabrien, alles Mafiosi, davon einer ein gesuchter Killer (ein Punkt für uns, dachte er); Gerüchte über den bevorstehenden Zusammenbruch der Regierung (wann stand der nicht bevor?); eine Schiffsladung Giftmüll im Hafen von Genua, zurückgeschickt aus Afrika (warum auch nicht?); und ein in seinem Garten ermordeter Priester, achtmal in den Kopf geschossen (hatte er bei der Beichte eine allzu strenge Buße verhängt?). Er schaltete aus, solange noch Zeit war, seinen Tag zu retten, und wandte sich Paola zu. »Bist du wach?«
Sie nickte, sprechen konnte sie noch nicht.
»Was machen wir mit dem Geld?«
Sie schüttelte den Kopf, die Nase im Kaffeedunst.
»Möchtest du irgendwas haben?«
Sie trank ihren Kaffee aus, reichte ihm kommentarlos die Tasse und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Wenn er
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