Brunetti 02 - Endstation Venedig
denkt - und weitererzählt -, er sei von der Polizei dieser Stadt schlecht behandelt worden.«
»Ich verstehe nicht, inwiefern er schlecht behandelt worden sein soll, Vice-Questore.«
»Sie verstehen gar nichts, Brunetti«, stieß Patta wutend hervor. »Sie rufen am selben Tag, an dem der Diebstahl gemeldet wird, den Versicherungsagenten des Mannes an, als ob Sie den Verdacht hätten, es sei etwas damit nicht in Ordnung. Und dann gehen nacheinander zwei Polizisten ins Krankenhaus, um den Mann zu vernehmen und ihm Fotos von Leuten zu zeigen, die gar nichts mit dem Verbrechen zu tun hatten.«
»Hat er Ihnen das gesagt?«
»Ja, nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten und ich ihm versichert hatte, daß ich volles Vertrauen zu ihm habe.«
»Was hat er genau gesagt, über das Foto, meine ich?«
»Daß der zweite Polizist ihm das Foto eines jungen Kriminellen gezeigt und ihm offenbar nicht geglaubt hat, als er sagte, er kenne ihn nicht.«
»Woher wußte er, daß der Mann auf dem Foto ein Krimineller war?«
»Wie bitte?«
Brunetti wiederholte: »Woher wußte er, daß dieses Foto, das ihm gezeigt wurde, das Foto eines Kriminellen war? Es hatte das Bild eines beliebigen Menschen sein können, vom Sohn des Polizisten beispielsweise.«
»Commissario, was für ein Bild hätte man ihm denn zeigen sollen, wenn nicht das eines Kriminellen?«
Als Brunetti nicht antwortete, seufzte Patta aufgebracht. »Sie machen sich lächerlich, Brunetti.«
Und als Brunetti etwas sagen wollte, schnitt Patta ihm das Wort ab. »Und versuchen Sie nicht, sich hinter Ihre Leute zu stellen, wenn Sie genau wissen, daß sie im Unrecht sind.« Da Patta so sehr darauf bestand, daß die unbotmäßigen Polizisten »seine Leute« seien, stellte Brunetti sich vor, wie es wohl zwischen Patta und seiner Frau zuging, wenn sie die Erfolge und Mißerfolge ihrer beiden Söhne untereinander aufteilten. »Mein« Sohn würde dann in der Schule Preise gewinnen, während »deiner« sich mit Lehrern anlegte oder durch Prüfungen rasselte.
»Haben Sie dazu etwas zu sagen?« fragte Patta schließlich.
»Die Männer, die ihn überfallen haben, konnte er nicht beschreiben, aber er wußte genau, welche Bilder sie mitgenommen hatten.«
Wieder einmal erkannte Patta an Brunettis Argumentation nur die Dürftigkeit von dessen Herkunft. »Offensichtlich sind Sie es nicht gewöhnt, mit kostbaren Dingen zu leben, Brunetti. Wenn ein Mensch jahrelang mit wertvollen Dingen lebt, und damit meine ich ästhetische Werte, nicht nur materielle« - sein Ton nötigte Brunetti, alle Phantasie aufzubieten, um sich da hineinzudenken - »dann erkennt er sie wie seine Angehörigen. So würde Signor Viscardi diese Bilder selbst in einem kurzen Augenblick und unter Streß erkennen, wie er seine Frau erkennen würde.« Nach allem, was Brunetti von Fosco erfahren hatte, würde Viscardi wohl eher die Bilder erkennen.
Patta beugte sich väterlich vor und fragte: »Verstehen Sie das?«
»Ich werde viel mehr verstehen, wenn wir uns mit Ruffolo unterhalten haben.«
»Ruffolo? Wer ist das?«
»Der junge Kriminelle auf dem Foto.«
Patta sagte nichts weiter als Brunettis Namen, diesen aber so leise, daß eine Erklärung fällig war.
»Zwei Touristen haben auf einer Brücke gesessen und drei Männer mit einem Koffer aus dem Haus kommen sehen. Beide haben Ruffolo nach dem Foto erkannt.«
Da Patta sich nicht die Mühe gemacht hatte, den Bericht über den Fall zu lesen, hatte er gewisse Hemmungen, zu fragen, warum diese Information nicht darin stand. »Er hätte sich draußen versteckt haben können«, meinte er.
»Das ist durchaus möglich«, stimmte Brunetti zu, obwohl es ihm viel wahrscheinlicher erschien, daß Ruffolo drinnen gewesen war und sich nicht versteckt hatte.
»Und was ist mit diesem Fosco und seinen Telefonaten?«
»Ich weiß über Fosco nur, daß er Wirtschaftsredakteur einer der bedeutendsten Zeitschriften des Landes ist. Ich habe ihn angerufen, um mir ein Bild machen zu können, wie wichtig Signor Viscardi ist. Damit wir wissen, wie wir mit ihm umgehen sollen.« Das spiegelte so genau Pattas Denkweise wider, daß er unmöglich Brunettis Aufrichtigkeit anzweifeln konnte. Brunetti hielt es kaum für nötig, für die Nachdrücklichkeit, die seine Leute bei Viscardis Vernehmung für richtig gehalten hatten, eine Entschuldigung vorzubringen. Statt dessen sagte er: »Wir müssen nur Ruffolo in die Finger kriegen, dann erledigt sich alles von selbst. Signor Viscardi wird seine
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