Brunetti 03 - Venezianische Scharade
suchten, stand an der rechten gegenüberliegenden Ecke des campo, und die Eingangstür lag genau vor einem der beiden großen Boote, die dort vom Kanal aus Obst und Gemüse verkauften. Rechts von der Tür war ein Restaurant, das noch nicht geöffnet hatte, daneben ein Buchladen. »Sie«, sagte Brunetti, der Blicke und Kommentare durchaus gewahr, die das Polizeiaufgebot mit seinen Maschinenpistolen bei den Leuten rundum hervorrief, »gehen alle in den Buchladen. Vianello, Sie warten draußen.«
Die Männer, scheinbar zu groß für die kleine Tür, betraten schwerfällig den Laden. Die Besitzerin steckte den Kopf heraus, sah Vianello und Brunetti und zog sich ohne ein Wort wieder zurück.
Der Name »Vespa« stand auf einem Stück Papier, das rechts neben einen der Klingelknöpfe geklebt war. Brunetti kümmerte sich nicht darum und drückte auf den darüberliegenden. Kurz darauf tönte eine Frauenstimme durch die Sprechanlage: »Si?«
»Posta, signora. Ein Einschreibebrief für Sie. Ich brauche Ihre Unterschrift.«
Als die Tür aufsprang, drehte sich Brunetti zu Vianello um. »Ich sehe mal, was ich oben über ihn herausfinden kann. Bleiben Sie hier unten, und halten Sie die anderen von der Straße fern.« Beim Anblick der drei alten Frauen, die sich schon hinter ihm und Vianello aufgebaut und ihre Einkaufswagen beiseite geschoben hatten, bedauerte er noch mehr, daß er die anderen Polizisten mitgenommen hatte.
Er trat ins Haus, wo ihn das dumpfe, rhythmische Wummern von Rockmusik empfing, das aus einem der oberen Stockwerke herunterdrang.
Wenn die Anordnung der Klingeln neben der Tür mit der Lage der Wohnungen übereinstimmte, wohnte Signorina Vespa im ersten Stock und die Frau, die ihn eingelassen hatte, ein Stockwerk darüber. Brunetti stieg rasch die Treppe hinauf, vorbei an der Wohnungstür von Signorina Vespa, aus der die Musik tönte.
Am nächsten Treppenabsatz stand eine junge Frau, die ein Baby auf der Hüfte balancierte, in der Wohnungstür. Als sie ihn sah, trat sie zurück und griff nach der Tür. »Einen Moment, Signora«, sagte Brunetti und blieb auf der Treppe stehen, um sie nicht zu ängstigen. »Ich bin von der Polizei.«
Der Blick, mit dem die Frau an ihm vorbei nach unten sah, dahin, wo die Musik herkam, die hinter ihm die Treppe heraufdröhnte, sagte Brunetti, daß sein Erscheinen sie vielleicht gar nicht überraschte. »Das ist doch seinetwegen?« fragte sie und deutete mit dem Kinn auf die Quelle der schweren Baßtöne, die weiter durchs Treppenhaus wummerten.
»Sie meinen Signorina Vespas Freund?« fragte er.
»Ja, den«, sagte sie und spie die Silben mit solcher Wut aus, daß Brunetti überlegte, was Malfatti wohl sonst noch alles angestellt hatte, seit er hier war.
»Wie lange ist er schon hier?« erkundigte er sich.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie mit einem weiteren Schritt rückwärts in ihre Wohnung. »Die Musik ist schon den ganzen Tag an, seit dem frühen Morgen. Und ich kann nicht runtergehen und mich beschweren.«
»Warum nicht?«
Sie zog das Kind enger an sich, als wollte sie ihn daran erinnern, daß sie Mutter war. »Letztes Mal hat er schreckliche Sachen zu mir gesagt.«
»Was ist mit Signorina Vespa, können Sie nicht mit ihr reden?«
Ihr Achselzucken deutete an, daß Signorina Vespa keine Hilfe war.
»Ist sie nicht bei ihm?«
»Ich weiß nicht, wer bei ihm ist, und es ist mir auch egal. Ich will nur, daß die Musik aufhört, damit mein Kind schlafen kann.« Bei diesem Stichwort machte das Baby, das in ihrem Arm fest geschlafen hatte, die Augen auf, sabberte und schlief sofort wieder ein.
Die Musik brachte Brunetti auf die Idee, sie und der Umstand, daß die Frau sich schon einmal bei Malfatti darüber beschwert hatte.
»Signora, gehen Sie hinein«, sagte er. »Ich schlage jetzt Ihre Tür zu und gehe dann nach unten, um mit ihm zu reden. Bleiben Sie ganz hinten in Ihrer Wohnung, und kommen Sie nicht heraus, bevor einer von meinen Leuten Ihnen Bescheid gibt.«
Sie nickte und zog sich zurück. Brunetti streckte den Arm in ihre Wohnung und faßte den Türgriff. Dann riß er mit aller Kraft daran und schlug die Tür so heftig zu, daß es durchs Treppenhaus knallte wie ein Schuß.
Er drehte sich um und stapfte mit schweren Schritten die Treppe hinunter, wobei er so fest er konnte auftrat und einen solchen Krach machte, daß sogar die Musik vorübergehend übertönt wurde. »Basta con quella musica«, schrie er wütend wie einer, dem gleich der Geduldsfaden reißt.
Weitere Kostenlose Bücher