Brunetti 03 - Venezianische Scharade
schändlicher als der Messalinas und Agrippinas. Auch hier würde das Übel noch lange überleben.
Der Morgen war stickig, als liege ein Fluch über der Stadt, der sie zu drückender Hitze und schlechter Luft verdammte, während die erfrischenden Brisen sie ihrem Schicksal überließen und sonstwo wehten. Als er auf dem Weg zur Arbeit über den Rialtomarkt ging, sah Brunetti, daß viele der Verkaufsstände geschlossen hatten und an ihren üblichen Plätzen in der geordneten Reihe die Leere gähnte wie Zahnlücken im Mund eines Trunkenboldes. Sinnlos, während des Ferragosto Gemüse verkaufen zu wollen; die Einwohner flohen die Stadt, und die Touristen wollten nur panini und aequo, minerale.
Er war früh in der Questura, denn er scheute sich, nach neun durch die Stadt zu gehen, wenn die Hitze immer schlimmer wurde und es in den Straßen noch mehr von Touristen wimmelte. Er wollte gar nicht an sie denken. Nicht heute.
Nichts konnte ihn aufmuntern, nicht der Gedanke, daß die illegalen Machenschaften der Lega nun ein Ende hatten, und nicht die Hoffnung, daß de Luca und seine Leute vielleicht doch noch einen kleinen Hinweis finden würden, der zu Santomauro und Ravanello führte. Genausowenig erwartete er, die Herkunft des Kleides oder der Schuhe, die Mascari angehabt hatte, noch feststellen zu können, zuviel Zeit war schon verstrichen.
Mitten in diese düsteren Überlegungen platzte Vianello ohne anzuklopfen in sein Büro: »Wir haben Malfatti gefunden!«
»Wo?« fragte Brunetti, der aufstand und ihm entgegenging, plötzlich energiegeladen.
»Bei seiner Freundin Luciana Vespa, drüben in San Barnaba.«
»Wie?«
»Ihr Vetter hat uns angerufen. Er steht mit auf der Liste und hat im vergangenen Jahr regelmäßig Schecks von der Lega bekommen.«
»Habt ihr einen Kuhhandel mit ihm gemacht?« fragte Brunetti, nicht im mindesten bekümmert ob der Ungesetzlichkeit solchen Vorgehens.
»Nein, er hat nicht einmal zu fragen gewagt. Er sagte, er wolle helfen.« Vianellos Schnauben machte deutlich, wieviel Glaubwürdigkeit er dem beimaß.
»Und was hat er gesagt?« wollte Brunetti wissen.
»Daß Malfatti seit drei Tagen bei ihr ist.«
»Steht sie auch auf der Liste?«
Vianello schüttelte den Kopf. »Nur die Ehefrau. Wir hatten zwei Tage lang einen Mann in der angrenzenden Wohnung, aber dort ist er nicht aufgekreuzt.« Während sie sich unterhielten, gingen sie die Treppe hinunter zum Büro, in dem die uniformierten Kollegen arbeiteten.
»Haben Sie ein Boot bestellt?« fragte Brunetti.
»Ist schon draußen. Wie viele Leute wollen Sie mitnehmen?«
Brunetti war nie bei einer von Malfattis Festnahmen dabeigewesen, aber er hatte die Berichte gelesen. »Drei. Bewaffnet. Und mit Westen.«
Zehn Minuten später gingen er und Vianello und die drei Beamten, letztere gepolstert und bereits schweißgebadet in den dicken kugelsicheren Westen, die sie über ihrer Uniform trugen, an Bord des blau-weißen Polizeibootes, das mit laufendem Motor vor der Questura schaukelte. Die drei Uniformierten stiegen hinunter in die Kabine, und Brunetti und Vianello blieben allein an Deck und versuchten etwas von dem bißchen Fahrtwind abzubekommen. Der Bootsführer lenkte die Barkasse ins bacino von San Marco und schwenkte dann nach rechts auf den Canal Grande zu. Jahrhundertealte Herrlichkeit zog vorüber, während Brunetti und Vianello die Köpfe zusammensteckten und gegen den Wind und den Motorenlärm anredeten. Sie vereinbarten, daß Brunetti ins Haus gehen und versuchen sollte, Kontakt mit Malfatti aufzunehmen. Da sie über die Frau nichts wußten, hatten sie keine Ahnung, in welcher Beziehung sie zu Malfatti stand, und mußten in erster Linie an ihre Sicherheit denken.
Bei dem Gedanken bereute Brunetti schon wieder, daß sie die anderen Polizisten mitgenommen hatten. Wenn Passanten vier Polizisten sahen, von denen sich drei schwer bewaffnet in der Nähe einer Wohnung aufhielten, gab es garantiert bald einen Menschenauflauf, und das wiederum würde die Aufmerksamkeit der Hausbewohner erregen.
Die Polizeibarkasse hielt am Vaporetto-Anleger Ca' Rezzonico, und die fünf Männer stiegen aus, sehr zum neugierigen Befremden der Leute, die dort auf das Einserboot warteten. Im Gänsemarsch gingen sie durch die schmale calle zum Campo San Barnaba und dann auf den freien Platz. Obwohl die Sonne ihren Zenith noch nicht erreicht hatte, strahlte die Hitze schon von den Pflastersteinen zurück und heizte ihnen von unten ein.
Das Haus, das sie
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