Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Augen interessiert. Auf den Fotos seien sie von dem Blitzlicht zu hell gewesen und nicht richtig rausgekommen. Er hat nur einen Blick auf ihn geworfen, einen Liddeckel angehoben und sich das Auge angeschaut. Hat ihm keinen Spaß gemacht, würde ich sagen, aber guter Gott, er hätte ihn mal vor der Autopsie sehen müssen, mit dem ganzen Make-up, vermengt mit all dem Blut. Es hat ewig gedauert, das abzuwaschen. Wie ein Clown hat der vorher ausgesehen, das kann ich Ihnen sagen. Diese Augenschminke hatte er im ganzen Gesicht. Oder in dem, was von seinem Gesicht übrig war. Komisch, wie schwer das Zeug oft weggeht. Muß die Frauen verdammt viel Zeit kosten, sich abzuschminken, meinen Sie nicht auch?«
Während er sprach, führte er Brunetti durch den gekühlten Saal, wobei er immer wieder stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. Schließlich hielt er vor einer der vielen Metalltüren an, drehte an einem Griff und zog die flache Lade heraus, in der die Leiche lag. »Geht das so mit ihm, oder soll ich ihn für Sie hochhieven? Das macht keine Mühe, ist schnell passiert.«
»Nein, es ist schon gut so«, sagte Brunetti. Ohne zu fragen zog der Wärter das weiße Laken von dem Gesicht und sah Brunetti an, ob er es weiter herunterziehen solle. Brunetti nickte, und der Mann zog das Laken ganz weg und faltete es rasch zu einem ordentlichen Rechteck.
Obwohl Brunetti die Fotos gesehen hatte, war er nicht auf das Ausmaß der Verwüstung vorbereitet, das sich seinem Auge bot. Der Pathologe war nur an der Erforschung interessiert gewesen und hatte sich nicht um die Restaurierung gekümmert; wenn man die Familie je fand, konnte sie jemanden dafür bezahlen.
Auch an der Nase des Mannes war nichts verändert worden, so daß Brunetti auf eine konkave Oberfläche mit vier flachen Einbuchtungen blickte, als hätte ein zurückgebliebenes Kind aus Ton ein menschliches Gesicht formen wollen und statt der Nase einfach eine Höhlung hineingedrückt. Ohne Nase verflüchtigte sich alles erkennbar Menschliche.
Er betrachtete den Körper des Toten, um sich dadurch vielleicht eine Vorstellung vom Alter und der Kondition des Mannes machen zu können. Brunetti hörte sich selbst scharf Luft holen, als er merkte, wie erschreckend der Körper seinem eigenen ähnelte: die gleiche Figur, ein leichter Bauchansatz und die Blinddarmnarbe. Der einzige Unterschied schien die spärliche Behaarung zu sein, und er beugte sich vor, um sich die Brust näher zu betrachten, die der lange Autopsieschnitt brutal zweigeteilt hatte. Statt eines drahtigen, angegrauten Haarteppichs, wie er auf seiner eigenen Brust wuchs, sah er nur leichte Stoppeln. »Hat ihm der Pathologe vor der Autopsie die Brust rasiert?« fragte Brunetti den Wärter.
»Nein, Commissario. Das war ja keine Herzoperation, nur eine Autopsie.«
»Aber die Brust ist rasiert.«
»Die Beine auch, wenn Sie mal genau hinsehen.«
Brunetti tat es. Es stimmte.
»Hat der Doktor dazu irgend etwas gesagt?«
»Nicht während der Arbeit. Vielleicht steht ja was in seinem Bericht. Haben Sie jetzt genug?«
Brunetti nickte und trat von dem Leichnam zurück. Der Wärter breitete das Laken aus, schwenkte es durch die Luft wie ein Tischtuch und ließ es in genau der richtigen Position über den Toten sinken. Er schob die Leiche in das Fach zurück, schloß die Tür und drehte leise den Griff.
Auf dem Rückweg zu seinem Tisch sagte der Wärter: »Das hat er nicht verdient, wer er auch war. Es heißt, daß er auf die Straße gegangen ist, einer von denen, die sich als Frau verkleiden. Armer Teufel, der hat bestimmt keinen getäuscht, der wußte ja nicht mal, wie man sich richtig schminkt, jedenfalls soweit ich es erkennen konnte, als sie ihn brachten.«
Einen Moment lang dachte Brunetti, der Mann hätte es spöttisch gemeint, aber dann merkte er an seinem Unterton, daß es ihm ernst war mit seiner Bemerkung.
»Sollen Sie rausfinden, wer ihn umgebracht hat?«
»Ja.«
»Na, ich hoffe, Sie schaffen es. Ich glaube, ich kann noch verstehen, daß man jemanden umbringen will, aber ich verstehe nicht, wie man es so machen kann.« Er hielt inne und sah Brunetti fragend an. »Sie vielleicht?«
»Nein, ich auch nicht.«
»Wie gesagt, ich hoffe, Sie kriegen den Mann, der das getan hat. Hure oder nicht, keiner verdient es, so zu sterben.«
6
» H aben Sie ihn gesehen?« fragte Gallo, als Brunetti in die Questura zurückkam.
»Ja.«
»Kein besonders schöner Anblick, nicht?«
»Sie haben ihn auch gesehen?«
»Ich
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