Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
hatten sich aus Gründen, die er zwar nachlesen und zur Kenntnis nehmen, aber wohl nie ganz verstehen konnte, von Frauen ab- und den Körpern anderer Männer zugewandt. Sie taten es für Geld oder Drogen oder manchmal sicher auch aus Liebe. Und einer von ihnen - in welch einer wilden Haßumarmung hatte er sein gewaltsames Ende gefunden? Und aus welchem Grund?
    Paola schlief friedlich neben ihm, ein zusammengekringeltes Etwas, die ganze Wonne seines Herzens. Er legte den Ordner auf das Tischchen neben seinem Bett, knipste das Licht aus, schlang den Arm um Paolas Schulter und küßte sie auf den Nacken. Immer noch salzig. Kurz darauf war er eingeschlafen.
    Als Brunetti am nächsten Morgen in der Questura in Mestre ankam, fand er Sergente Gallo an seinem Schreibtisch, in der Hand eine andere blaue Mappe. Als Brunetti Platz genommen hatte, reichte der Polizist sie ihm herüber, und Brunetti sah zum ersten Mal das Gesicht des Ermordeten. Obenauf lag die Skizze des Zeichners, die wiedergab, wie der Mann ausgesehen haben konnte, darunter sah er die Fotos des zertrümmerten Schädels, nach denen die Skizze entstanden war.
    Man konnte beim besten Willen nicht erkennen, wie viele Schläge das Gesicht hatte erdulden müssen. Wie Gallo am Abend zuvor gesagt hatte, war von der Nase nichts mehr da, ein besonders brutaler Schlag hatte sie in den Schädel gerammt. Ein Wangenbein war völlig zertrümmert, wodurch das Gesicht auf dieser Seite wie eingefallen wirkte. Die Fotos vom Hinterkopf zeugten von ähnlicher Gewalt, aber das waren Schläge, die weniger geführt worden waren, um zu verunstalten, als um zu töten.
    Brunetti klappte den Ordner zu und gab ihn Gallo zurück. »Haben Sie Kopien von der Skizze machen lassen?«
    »Ja, Commissario, wir haben einen ganzen Stapel, aber die Skizze kam erst vor einer halben Stunde, so daß noch keiner der Kollegen mit dem Bild unterwegs ist.«
    »Fingerabdrücke?«
    »Wir haben einen vollständigen Satz abgenommen und nach Rom geschickt, außerdem an Interpol in Genf, aber Sie wissen ja, wie die sind.« Brunetti wußte es. Rom konnte Wochen dauern. Interpol war meist etwas schneller.
    Brunetti tippte mit einer Fingerspitze auf den Ordner. »Das Gesicht ist ganz schön zugerichtet, wie?«
    Gallo nickte, sagte aber nichts. Er hatte früher schon mit Vice-Questore Patta zu tun gehabt, wenn auch nur telefonisch, und so war er vorsichtig bei jedem aus Venedig.
    »Fast als ob der Täter gewollt hätte, daß man das Gesicht nicht erkennt«, fügte Brunetti hinzu.
    Gallo warf ihm unter seinen dichten Brauen einen kurzen Blick zu und nickte wieder.
    »Haben Sie zufällig Freunde in Rom, die sich dahinterklemmen könnten?« fragte Brunetti.
    »Ich habe schon einen Versuch in der Richtung gemacht, Commissario, aber der Mann ist im Urlaub. Und Sie?«
    Brunetti schüttelte den Kopf. »Der einzige, den ich kannte, ist zur Interpol nach Brüssel versetzt worden.«
    »Dann müssen wir wohl warten«, meinte Gallo in einem Ton, der deutlich machte, daß ihm das gar nicht gefiel.
    »Wo ist er?«
    »Der Tote?«
    »Ja.«
    »Im Umberto Primo. Warum?«
    »Ich würde ihn mir gerne ansehen.«
    Falls Gallo das für einen seltsamen Wunsch hielt, ließ er es sich nicht anmerken. »Ihr Fahrer könnte Sie sicher rüberfahren.«
    »Es ist nicht weit, oder?«
    »Nein, nur ein paar Minuten«, antwortete Gallo. »Vielleicht etwas mehr, bei dem Verkehr jetzt.«
    Brunetti überlegte, ob diese Leute eigentlich jemals zu Fuß irgendwohin gingen, aber dann fiel ihm die tropische Hitze draußen ein, die wie eine Decke über der ganzen Region Veneto lag. Vielleicht war es klüger, in klimatisierten Autos von einem klimatisierten Gebäude zum anderen zu fahren, aber er hatte so seine Zweifel, ob er sich dabei je wohlfühlen würde. Er sprach das aber nicht aus, sondern ging nach unten und ließ sich von seinem Fahrer - offenbar war er einen eigenen Fahrer und einen Dienstwagen wert - zum Krankenhaus Umberto Primo bringen.
    Vor der Leichenhalle saß an einem niedrigen Tisch ein Wärter, der eine Ausgabe des Gazzettino vor sich ausgebreitet hatte. Brunetti zeigte ihm seinen Ausweis und fragte, ob er den Ermordeten sehen könne, den man tags zuvor auf der Wiese gefunden hatte.
    Der Wärter, ein kleiner Mann mit dickem Bauch und krummen Beinen, faltete seine Zeitung zusammen und stand auf. »Ach den, den habe ich drüben auf der anderen Seite. Niemand hat ihn bis jetzt sehen wollen, nur der Zeichner, und den haben bloß die Haare und die

Weitere Kostenlose Bücher