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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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vorbestraft war, damit die carta d'identità auf Emilia ausgestellt und den physischen Veränderungen angepaßt werden konnte, die am Körper bereits vorgenommen worden waren. Er hatte keine Ahnung, welche Nöte oder Leidenschaften einer so absolut endgültigen Entscheidung zugrunde lagen, erinnerte sich aber an eigene Gefühle, die er lieber nicht hatte analysieren wollen - ausgelöst durch die bloße Änderung eines einzigen Buchstabens auf einem offiziellen Dokument: Emilio - Emilia.
    Die Männer in der Akte waren nicht so weit gegangen; sie hatten entschieden, nur ihr Erscheinungsbild zu verändern: Gesicht, Kleidung, Make-up, Gesten, Gang. Die beiliegenden Fotos zeigten, wie geschickt manche es anstellten. Die Hälfte von ihnen war überhaupt nicht mehr als Männer zu erkennen. Brunetti sah weiche Wangen und zarte Gesichtsformen, an denen nichts Maskulines war; selbst vor den unbarmherzigen Scheinwerfern und Objektiven der Polizeikameras wirkten viele von ihnen schön, und Brunetti suchte vergeblich nach einem Schatten, einem markanten Kinn, irgend etwas, das sie als Männer auswies statt als Frauen.
    Neben ihm im Bett sitzend, las Paola nacheinander die Seiten, die er ihr reichte, sah sich die Fotos an, studierte einen Verhaftungsbericht, in dem es um Drogenhandel ging, und gab ihm die Blätter kommentarlos zurück.
    »Na, was sagst du dazu?« fragte Brunetti.
    »Wozu?«
    »Zu dem Ganzen.« Er hob die Mappe hoch. »Findest du diese Männer nicht sonderbar?«
    Sie sah ihn lange und, wie er glaubte, voller Abscheu an. »Ich finde die Männer, die sie bezahlen, viel sonderbarer.«
    »Warum?«
    Paola deutete auf den Ordner und meinte: »Wenigstens machen diese Männer hier sich nichts vor über das, was sie tun. Im Gegensatz zu denen, die sie benutzen.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ach, komm schon, Guido. Denk nach. Diese Männer werden dafür bezahlt, daß sie sich vögeln lassen oder vögeln, je nach dem Geschmack des Kunden. Aber sie müssen sich als Frauen verkleiden, bevor die anderen Männer sie nehmen. Denk doch nur mal kurz darüber nach. Denk an die Heuchelei, die darin liegt, das Bedürfnis nach Selbstbetrug. Damit sie am nächsten Morgen sagen können: ›0h, Gesù bambino, ich habe nicht gemerkt, daß es ein Mann war, bis es zu spät war‹, oder: ›Auch wenn es ein Mann war, bin ich doch derjenige, der in ihn eingedrungen ist.‹ Damit sie immer noch richtige Männer sind, Machos, und nicht der Tatsache ins Auge sehen müssen, daß sie lieber Männer vögeln, denn das würde ihre Männlichkeit gefährden.« Sie musterte ihn durchdringend. »Manchmal habe ich den Verdacht, daß du über viele Dinge nicht richtig nachdenkst, Guido.«
    Im allgemeinen hieß das frei übersetzt, daß er nicht so dachte wie sie. Aber diesmal hatte Paola recht; darüber hatte er nie nachgedacht. Nachdem Brunetti einmal die Frauen entdeckt hatte, war er ganz deren Reizen erlegen, während die Vertreter des eigenen Geschlechts keine sexuelle Anziehung auf ihn ausübten. Als er erwachsen wurde, hatte er angenommen, allen anderen Männern ginge es ähnlich; und als er merkte, daß dem nicht so war, fühlte er sich in seiner eigenen Vorliebe schon zu sicher, um das Vorhandensein einer Alternative mehr als nur intellektuell zur Kenntnis zu nehmen.
    Er mußte an etwas denken, worauf Paola ihn einmal aufmerksam gemacht hatte, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, etwas, was ihm vorher nie aufgefallen war, nämlich daß italienische Männer ständig ihre Genitalien berührten, befummelten, ja schon beinah liebkosten. Er wußte noch, daß er ungläubig und höhnisch gelacht hatte, als sie das sagte, aber vom nächsten Tag an hatte er darauf geachtet, und binnen einer Woche war ihm klar, wie recht sie hatte. Nach einer weiteren Woche begann es ihn zu faszinieren, und er war überwältigt davon, wie oft Männer auf der Straße mit der Hand suchend an diese Stelle fuhren, wie um sich zu vergewissern, daß ihre Geschlechtsteile noch da waren. Einmal war Paola bei einem Spaziergang stehen geblieben und hatte ihn gefragt, woran er gerade denke, und die Tatsache, daß sie der einzige Mensch auf der Welt war, dem gegenüber es ihm nicht peinlich war, es laut auszusprechen, überzeugte ihn, wie schon tausend andere Dinge zuvor, daß sie die Frau war, die er heiraten wollte, die er heiraten würde.
    Eine Frau zu lieben und zu begehren war ihm absolut natürlich erschienen, und so war es heute noch. Aber die Männer in diesem Ordner

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