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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Vormittag war - für die Männer auf ihrer Liste wahrscheinlich noch mitten in der Nacht -, einigten sie sich darauf, gleich zu ihnen zu gehen. Brunetti bat die anderen, da sie sich in Mestre auskannten, so etwas wie eine geographische Ordnung in die Adressenliste zu bringen, damit sie nicht alle kreuz und quer in der Stadt herumfuhren, während sie ihren Teil der Liste bearbeiteten.
    Als das erledigt war, nahm Brunetti sich seine Adressen und ging nach unten, um den Fahrer zu suchen. Er bezweifelte, ob es klug war, zur Befragung dieser Männer im blau-weißen Streifenwagen mit einem uniformierten Polizisten am Steuer zu fahren, aber kaum hatte er einen Schritt in Mestres vormittägliche Luft getan, warf er um des schieren Überlebens willen schnell alle Bedenken über Bord.
    Die Hitze schlug über ihm zusammen, und er hatte das Gefühl, als zerfresse die Luft ihm die Augen. Kein Hauch, nicht die leiseste Brise; der Tag lastete auf der Stadt wie eine schmierige Decke. Eine Autoschlange quälte sich an der Questura vorbei, und die Fahrer protestierten vergeblich mit der Hupe gegen umspringende Ampeln oder leichtsinnige Fußgänger. Hinter den Autos wirbelten Schmutz und leere Zigarettenpackungen hoch. Brunetti sah das alles, hörte es, atmete es ein und hatte das Gefühl, als umklammere jemand von hinten seine Brust. Wie konnten die Menschen das nur aushalten?
    Brunetti floh in den kühlen Kokon des Streifenwagens und stieg eine Viertelstunde später vor einem achtgeschossigen Wohnhaus am westlichen Stadtrand wieder aus. Er blickte hinauf und sah, daß zwischen diesem und dem Haus gegenüber Leinen gespannt waren, an denen Wäsche hing. Hier wehte eine leichte Brise, so daß die vielfarbigen Wimpel aus Bettlaken, Handtüchern und Unterwäsche über ihm wogten und für einen Moment seine Stimmung hoben.
    Drinnen saß der portiere in seinem käfigähnlichen Büro und war dabei, auf seinem Tisch Zeitungen und Umschläge zu sortieren, offenbar die Post für die Bewohner des Hauses. Es war ein alter Mann mit schütterem Bart und einer silberumrandeten Lesebrille auf der Nasenspitze. Er linste über seinen Brillenrand und sagte guten Morgen. Die Feuchtigkeit verstärkte den säuerlichen Geruch in dem Kabäuschen, und ein Ventilator auf dem Fußboden, der um die Beine des Alten blies, wirbelte den Geruch nur herum.
    Brunetti sagte ebenfalls guten Morgen und fragte, wo er Giovanni Feltrinelli finden könne.
    Bei dem Namen schob der portiere seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich habe ihm doch gesagt, er soll seine Kunden nicht mehr hierherbestellen. Wenn er seine dreckige Arbeit machen will, kann er das in euren Autos tun oder draußen auf der Wiese bei den anderen Tieren, aber nicht hier in diesem Haus. Sonst rufe ich die Polizei.« Dabei griff er mit der rechten Hand zum Telefon an der Wand hinter ihm und musterte Brunetti mit wütendem Blick von oben bis unten, ohne seinen Abscheu zu verbergen.
    »Ich bin die Polizei«, sagte Brunetti ruhig, zog seinen Dienstausweis aus der Brieftasche und hielt ihn dem alten Mann hin. Der nahm ihn unwirsch, als wollte er seinem Gegenüber zu verstehen geben, daß er sehr wohl wußte, wo man so etwas fälschen lassen konnte, und schob seine Brille zurecht, um ihn zu studieren.
    »Sieht echt aus«, räumte er schließlich ein und gab Brunetti den Ausweis zurück. Dann zog er ein schmutziges Taschentuch heraus, nahm seine Brille ab und begann sorgfältig die Gläser zu putzen, erst das eine, dann das andere, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Er setzte die Brille wieder auf, sorgsam darauf bedacht, die Bügel ordentlich hinter die Ohren zu klemmen, steckte das Taschentuch weg und fragte Brunetti in verändertem Ton: »Was hat er denn jetzt wieder angestellt?«
    »Nichts. Er soll ein paar Fragen über jemand anderen beantworten.«
    »Einen von seinen Schwulis?« fragte der Alte, wieder in aggressivem Ton.
    Brunetti ignorierte die Frage. »Ich möchte Signor Feltrinelli sprechen. Er kann uns vielleicht wichtige Informationen geben.«
    »Signor Feltrinelli? Signore?« Der alte Mann wiederholte Brunettis Worte und machte aus der förmlichen Anrede eine Beleidigung. »Sie meinen Nino, den Adonis? Nino, den Schwanzlutscher?«
    Brunetti seufzte müde. Warum konnten die Leute sich nicht angewöhnen, etwas überlegter zu hassen, etwas wählerischer? Vielleicht sogar etwas sinnvoller? Warum nicht die Christdemokraten hassen? Oder die Sozialisten? Oder warum nicht Leute hassen, die

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