Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
fragte er schließlich.
    »Das Opfer konnte noch nicht identifiziert werden, Vice-Questore. Wir haben sein Bild vielen Transvestiten gezeigt, die dort arbeiten, aber keiner hat ihn erkannt.«
    Patta sagte nichts.
    »Von denen, die ich befragt habe, meinten zwei, der Mann käme ihnen irgendwie bekannt vor, aber eindeutig identifizieren konnte ihn keiner, woraus man alles mögliche schließen kann. Oder gar nichts. Ich glaube, daß ihn noch ein anderer der von mir Befragten erkannt hat, aber er wollte es nicht zugeben. Ich würde gern noch einmal mit ihm reden, allerdings könnte es dabei Probleme geben.«
    »Santomauro?« fragte Patta, womit es ihm zum erstenmal in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit gelang, Brunetti zu überraschen.
    »Woher wissen Sie von Santomauro?« fuhr Brunetti auf. Schnell setzte er hinzu: »Vice-Questore«, wie um seinen scharfen Ton abzumildern.
    »Er hat mich dreimal angerufen«, erklärte Patta, und dann murmelte er leiser, aber doch eindeutig für Brunettis Ohren bestimmt: »Der Mistkerl.«
    Bei dieser ungewohnten - und sorgsam geplanten - Unbedachtheit von Pattas Seite ging Brunetti sofort in Habachtstellung und begann wie eine Spinne, die ihr Netz webt, in Gedanken die verschiedenen Fäden abzutasten, die möglicherweise zwischen diesen beiden Männern verliefen. Santomauro war ein berühmter Anwalt, seine Klienten waren Geschäftsleute und Politiker aus ganz Venetien. Schon das allein würde Patta normalerweise den Staub zu seinen Füßen küssen lassen. Aber dann fiel es ihm ein: Die Heilige Mutter Kirche und Santomauros Lega della. Moralità, deren Frauenorganisation unter der Schirmherrschaft keiner Geringeren als der abwesenden Maria Lucrezia Patta stand. Was für eine Predigt über die Ehe im allgemeinen und deren heilige Verpflichtungen im besonderen hatte Santomauros Telefonate mit dem Vice-Questore begleitet?
    »Stimmt«, sagte Brunetti, der sich entschieden hatte, die Hälfte dessen zuzugeben, was er wußte, »er ist Crespos Anwalt.« Wenn Patta glauben wollte, ein Commissario der Polizei fände nichts Seltsames an der Tatsache, daß ein Anwalt vom Kaliber des Giancarlo Santomauro als Rechtsberater eines prostituto travestito fungierte, war es am besten, ihn in diesem Glauben zu lassen. »Was hat er denn gesagt, Vice-Questore?«
    »Er meinte, Sie hätten seinen Klienten belästigt und geängstigt. Sie wären, um es mit seinen Worten zu sagen, ›unnötig brutal‹ vorgegangen, um ihn dazu zu bringen, Informationen preiszugeben.« Patta fuhr sich mit der Hand übers Kinn, und Brunetti stellte fest, daß der Vice-Questore sich heute offenbar noch nicht rasiert hatte.
    »Ich habe ihm natürlich erklärt, daß ich mir diese Art der Kritik an einem Commissario nicht anhöre, daß er herkommen und offiziell Beschwerde einlegen kann, wenn er will.« Normalerweise hätte Patta auf die Beschwerde eines so wichtigen Mannes wie Santomauro hin versprochen, den Übeltäter zur Ordnung zu rufen, wenn nicht gar zu degradieren und für drei Jahre nach Palermo zu versetzen. Und normalerweise hätte Patta es getan, noch bevor er sich nach Einzelheiten erkundigt hatte. Jetzt aber spielte er weiter den Verteidiger des Grundsatzes, daß vor dem Gesetz alle Menschen gleich seien. »Ich dulde nicht, daß Zivilpersonen sich in die Arbeitsweise staatlicher Organe einmischen.« Das konnte für Brunetti frei übersetzt nur bedeuten, daß Patta mit Santomauro ein privates Hühnchen zu rupfen hatte und bereitwillig mitspielen würde, wenn es darum ging, den anderen lächerlich zu machen.
    »Dann meinen Sie also, ich sollte Crespo ruhig noch einmal befragen, Vice-Questore?«
    Mochte er momentan auch noch so verärgert über Santomauro sein, konnte man von Patta nicht erwarten, daß er die Gewohnheit langer Jahre aufgab und einen seiner Mitarbeiter anwies, etwas zu tun, was dem Willen eines Mannes mit wichtigen politischen Verbindungen zuwiderlief.
    »Tun Sie, was Sie für richtig halten, Brunetti.«
    »Noch etwas, Vice-Questore?«
    Patta antwortete nicht, also stand Brunetti auf. »Eines wäre da noch, Commissario«, sagte Patta, bevor Brunetti sich zum Gehen wandte.
    »Ja?«
    »Sie haben doch Freunde in Journalistenkreisen, nicht?«
    Du liebe Güte, wollte Patta ihn etwa um Hilfe bitten? Brunetti sah an seinem Vorgesetzten vorbei und nickte vage.
    »Ich habe überlegt, ob es Ihnen wohl etwas ausmachen würde, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen.« Brunetti räusperte sich und betrachtete seine Schuhe.

Weitere Kostenlose Bücher