Brunetti 03 - Venezianische Scharade
»Also gut, zeigen Sie her.« Der Mann mochte ja seine Füße in diesen Schuhen verstecken, aber die breite, kräftige Hand ließ sich nicht verbergen.
Brunetti holte die Zeichnung aus der Tasche und reichte sie ihm mit einem: »Danke, Signore.« Der Mann warf ihm einen verständnislosen Blick zu, als hätte Brunetti etwas Unsinniges gesagt. Die beiden Männer beugten sich über die Zeichnung und unterhielten sich in einem Dialekt, den Brunetti für Sardisch hielt.
Der Blonde hielt Brunetti das Blatt wieder hin. »Nein, ich kenne ihn nicht. Haben Sie nur das eine Bild von ihm?«
»Ja«, antwortete Brunetti und fragte dann: »Würden Sie Ihre Freunde fragen, ob sie ihn kennen?« Er nickte zu dem Grüppchen von Männern, die noch immer hinter ihnen an der Mauer herumhingen und hin und wieder vorbeifahrenden Autos Bemerkungen zuwarfen, während sie Brunetti und die beiden Männer bei ihm nicht aus den Augen ließen.
»Klar. Warum nicht?« sagte Paolinas Freund und drehte sich zu den anderen um. Paolina folgte ihm, vielleicht aus Nervosität, sonst mit einem Polizisten allein bleiben zu müssen.
Sie gingen zu den anderen, die sich von der Mauer lösten und ihnen entgegenkamen. Der mit der Zeichnung in der Hand stolperte, und hätte er sich nicht an Paolinas Schulter festgehalten, wäre er gefallen. Er fluchte wüst. Die Gruppe grell gekleideter Männer scharte sich um die beiden, und Brunetti beobachtete, wie sie das Bild herumreichten. Einer von ihnen, ein großer, schlaksiger Junge mit roter Perücke, gab das Bild weiter und griff es sich dann plötzlich wieder, um es noch einmal genauer anzusehen. Er zog einen anderen zu sich heran, deutete auf das Bild und sagte etwas zu ihm. Der zweite schüttelte den Kopf, und der Rothaarige tippte wieder heftig auf das Bild. Als der andere immer noch nicht zustimmte, tat er ihn mit einer ärgerlichen Handbewegung ab. Das Bild machte noch etwas weiter die Runde, dann kam Paolinas Freund zu Brunetti zurück, den Rotschopf im Schlepptau.
»Buona sera«, sagte Brunetti, als sie bei ihm waren. Er hielt dem Rothaarigen die Hand hin. »Guido Brunetti.«
Die beiden Männer standen wie auf ihren hohen Absätzen festgenagelt. Paolinas Freund blickte auf seinen Rock und wischte sich nervös die Hand daran ab. Der Rotschopf hob die Hand kurz an den Mund und reichte sie dann Brunetti. »Roberto Canale«, sagte er. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sein Händedruck war fest, die Hand warm.
Brunetti streckte auch dem anderen die Hand hin, der sich unbehaglich nach dem Grüppchen hinter ihnen umsah, aber als er nichts hörte, ergriff er Brunettis Hand und schüttelte sie. »Paolo Mazza.«
Brunetti wandte sich an den Rothaarigen. »Sie kennen den Mann auf dem Bild, Signor Canale?«
Der sah zur Seite, bis Mazza sagte: »Er redet mit dir, Roberta, weiß du nicht mal mehr deinen eigenen Namen?«
»Natürlich weiß ich meinen Namen«, entgegnete der Rotschopf ärgerlich. Und zu Brunetti sagte er: »Ja, ich kenne den Mann, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wer er ist. Ich weiß nicht einmal, warum er mir bekannt vorkommt. Er sieht einfach aus wie jemand, den ich schon mal gesehen habe.«
Als er merkte, wie unbefriedigend das klingen mußte, erklärte Canale: »Wissen Sie, das ist so, als wenn man dem Mann aus dem Käseladen ohne seine Schürze auf der Straße begegnet, man weiß, daß man ihn kennt, aber man kann sich nicht erinnern, wer er ist. Man weiß, man kennt ihn, aber er ist nicht da, wo er hingehört, darum kann man ihn nicht einordnen. So ist das mit dem Mann auf dem Bild. Ich weiß, daß ich ihn kenne oder schon gesehen habe, so wie man den Mann im Käseladen kennt, aber mir fällt nicht ein, wo er hingehört.«
»Wäre er hier am richtigen Platz?« fragte Brunetti. Und als Canale ihn verständnislos ansah, fügte er erklärend hinzu: »Ich meine hier, auf der Via Cappuccina? Würden Sie ihn da erwarten?«
»Nein, nein. Ganz und gar nicht. Das ist ja das Eigenartige. Wenn ich ihn mal irgendwo gesehen habe, dann hatte das mit dem allem hier gar nichts zu tun.« Er machte eine ausholende Geste, als wollte er die Antwort in der Luft suchen. »Es ist, als ob mir hier einer meiner Lehrer über den Weg liefe. Oder mein Arzt. Er gehört nicht hierher. Es ist nur so ein Gefühl, aber es ist ziemlich eindeutig.« Und als suchte er Bestätigung, fragte er Brunetti: »Verstehen Sie, was ich meine?«
»O ja, sehr gut sogar. In Rom hat mich mal ein Mann auf der Straße angesprochen. Ich
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