Brunetti 03 - Venezianische Scharade
wußte, daß ich ihn kenne, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, warum und woher.« Brunetti lächelte und riskierte es: »Ich hatte ihn zwei Jahre zuvor festgenommen. Aber in Neapel.«
Glücklicherweise lachten beide Männer. Canale sagte: »Kann ich das Bild behalten? Vielleicht fällt es mir wieder ein, wenn ich es mir hin und wieder ansehen kann. Vielleicht kommt dann die Erinnerung ganz plötzlich.«
»Natürlich. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen«, sagte Brunetti.
Jetzt riskierte Mazza etwas. »War er schlimm zugerichtet? Ich meine, als sie ihn gefunden haben?« Er verschränkte dabei krampfhaft die Arme vor seinem Körper.
Brunetti nickte.
»Ist es nicht genug, daß sie uns vögeln wollen?« mischte Canale sich ein. »Warum wollen sie uns auch noch umbringen?«
Auch wenn das eine Frage war, die sich an Mächte weit über denen richtete, für die Brunetti arbeitete, beantwortete er sie dennoch: »Ich habe keine Ahnung.«
11
A m nächsten Tag, einem Freitag, hielt es Brunetti für besser, kurz in der Questura in Venedig vorbeizuschauen, um zu sehen, was für Post und Büroarbeit sich angesammelt hatte. Außerdem interessierte es ihn, wie er Paola beim Frühstück gestand, ob es Neues gab im Fall Patta.
»In Gente und in Oggi stand nichts«, meinte sie, womit sie zugab, die beiden bekanntesten Klatschmagazine durchgeblättert zu haben. »Allerdings bin ich nicht sicher, ob Signora Patta diesen Blättern wichtig genug ist.«
»Laß sie das nicht hören«, warnte Brunetti lachend.
»Wenn ich Glück habe, wird Signora Patta nie ein Wort von mir hören.« Und etwas freundlicher fragte sie: »Was, glaubst du, wird Patta tun?«
Brunetti trank seinen Kaffee aus und setzte die Tasse ab, bevor er antwortete. »Ich glaube, er kann nicht sehr viel tun, außer zu warten, bis sie zurückkommt, weil Burrasca ihrer überdrüssig ist oder sie seiner.«
»Was weiß man denn so über ihn?« Paola verschwendete keine Zeit darauf zu fragen, ob bei der Polizei eine Akte über Burrasca existierte. Sobald in Italien jemand genug Geld machte, gab es garantiert irgendwo eine Akte über ihn.
»Soweit ich gehört habe, ist er ein Schwein. Er gehört zu dieser Mailänder Kokainclique, Autos mit spritzigen Motoren und Mädchen mit lahmem Verstand.«
»Na, da hat er ja wenigstens das eine«, sagte Paola.
»Wie meinst du das?«
»Signora Patta. Ein Mädchen ist sie nicht mehr, aber einen lahmen Verstand, den hat sie.«
»Kennst du sie denn näher?« Brunetti wußte nie genau, wen Paola eigentlich kannte. Oder was.
»Nein. Ich ziehe nur meine Schlüsse aus der Tatsache, daß sie Patta geheiratet hat und mit ihm zusammengeblieben ist. Ich könnte mir vorstellen, daß es schwierig ist, so einen aufgeblasenen Esel zu ertragen.«
»Aber du erträgst mich«, sagte Brunetti lächelnd und in der Hoffnung auf ein Kompliment.
Ihr Blick war ausdruckslos. »Du bist nicht aufgeblasen, Guido. Manchmal bist du schwierig, und manchmal bist du unmöglich, aber aufgeblasen bist du nicht.« Von wegen Kompliment.
Er schob seinen Stuhl zurück. Vielleicht war es ja an der Zeit, in die Questura zu gehen.
In seinem Büro angekommen, sah er die Zeitungen durch, die ihn auf dem Schreibtisch erwarteten, und war enttäuscht, daß er nichts über den toten Mann in Mestre darin fand. Da unterbrach ihn ein Klopfen. »Avanti«, rief er in dem Glauben, es sei vielleicht Vianello mit Neuigkeiten aus Mestre. Aber statt des Sergente trat eine dunkelhaarige Frau ins Zimmer, einen Stapel Akten in der rechten Hand. Sie lächelte ihm zu, kam an seinen Schreibtisch und blätterte in ihren Mappen herum.
»Commissario Brunetti?« fragte sie.
»Ja.«
Sie zog einige Papiere aus einer der Mappen und legte sie vor ihn auf den Schreibtisch. »Man hat mir unten gesagt, daß Sie das hier vielleicht interessiert, Dottore.«
»Danke, Signorina«, sagte er und zog die Blätter näher zu sich heran.
Sie blieb weiter vor seinem Schreibtisch stehen, eindeutig in Erwartung seiner Frage, wer sie sei, möglicherweise zu schüchtern, um sich selbst vorzustellen. Er blickte auf und sah große, braune Augen und einen knallroten Mund in einem attraktiven, vollen Gesicht. »Und Sie sind?« erkundigte er sich mit einem Lächeln.
»Elettra Zorzi, Commissario. Ich habe letzte Woche als Sekretärin bei Vice-Questore Patta angefangen.« Das erklärte den neuen Schreibtisch in Pattas Vorzimmer. Patta hatte schon seit Monaten lamentiert, daß er zuviel Papierkram zu erledigen
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