Brunetti 03 - Venezianische Scharade
und seine allgemeine Fitness zu verbessern. Als Mann Ende vierzig mit einem Baby müsse man aufpassen und sich gesund erhalten. Doch bei dieser Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit, jene Daunendecken noch vor Augen, hatte Brunetti anderes im Sinn als seine oder Vianellos Gesundheit.
»Setzen Sie sich.« Vianello nahm seinen Stammplatz ein, und Brunetti setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
»Was wissen Sie über diese Lega della Moralita?« fragte Brunetti.
Vianello sah zu ihm auf und kniff fragend die Augen zusammen, doch als keine weiteren Informationen folgten, überdachte er die Frage ein paar Augenblicke und antwortete dann: »Sehr viel weiß ich nicht darüber. Ich glaube, sie treffen sich in irgendeiner Kirche - Santi Apostoli? Nein, das sind die catecumeni, die mit den Gitarren und den vielen kleinen Kindern. Die Lega trifft sich in Privathäusern, glaube ich, und in einigen Gemeindehäusern. Sie sind nicht politisch, soweit ich gehört habe. Ich weiß nicht genau, was sie eigentlich tun, aber dem Namen nach sitzen sie wahr scheinlich herum und reden darüber, wie gut sie sind und wie schlecht alle anderen.« Seine Verachtung für solche Narretei war deutlich am wegwerfenden Ton zu erkennen.
»Kennen Sie zufällig ein Mitglied, Vianello?«
»Ich, Commissario? Also, hoffentlich nicht, würde ich sagen.« Er grinste, aber dann sah er Brunettis Gesicht. »Oh, Sie meinen es ernst, wie? Na, dann lassen Sie mich mal einen Moment nachdenken.« Das tat er, die Hände um ein Knie gefaltet, das Gesicht zur Decke erhoben. »Einer fällt mir ein, Commissario, die Frau in der Bank. Nadia kennt sie besser als ich. Das heißt, sie hat öfter mit ihr zu tun als ich, weil sie unsere Bankangelegenheiten erledigt. Aber ich erinnere mich, daß Nadia mal gesagt hat, sie fände es eigenartig, daß eine solch nette Frau sich mit so etwas abgibt.«
»Was meinen Sie, warum sie das gesagt hat?« fragte Brunetti.
»Was?«
»Warum sie davon ausgeht, daß es keine netten Leute sind?«
»Na, denken Sie doch nur an den Namen. Lega della Moralità, als ob sie die Moral für sich gepachtet hätten. Das muß ja eine Horde von basabanchi sein, wenn Sie mich fragen.« Mit diesem urvenezianischen Ausdruck, der sich über Leute lustig machte, die in der Kirche so tief gebeugt niederknieten, daß sie das Gestühl küssen konnten, stellte Vianello wieder einmal die Findigkeit ihres gemeinsamen Dialekts sowie seinen eigenen gesunden Menschenverstand unter Beweis.
»Wissen Sie, wie lange diese Frau schon Mitglied ist oder wie sie dazu kam?«
»Nein, Commissario, aber ich könnte Nadia bitten, es herauszufinden. Warum?«
Brunetti erzählte ihm kurz von seinem Zusammentreffen mit Santomauro in Crespos Wohnung und dessen anschließenden Anrufen bei Patta.
»Interessant, nicht?« meinte Vianello.
»Kennen Sie ihn denn?«
»Santomauro?« fragte Vianello unnötigerweise. Crespo gehörte kaum zu denen, die er kennen würde.
Brunetti nickte.
»Er war mal der Anwalt meines Vetters, bevor er berühmt wurde. Und teuer.«
»Und was sagt Ihr Vetter über ihn?«
»Nichts weiter. Er war ein guter Anwalt, aber er war immer bereit, die Gesetze so hinzubiegen, wie er sie gerade brauchte.« Eine durchaus normale Erscheinung in Italien, dachte Brunetti, wo oft der Buchstabe des Gesetzes galt, ohne daß der Sinn eindeutig war.
»Noch was?« fragte Brunetti.
Vianello schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte. Es ist Jahre her.« Und bevor Brunetti ihn noch darum bitten konnte, fügte er hinzu: »Ich rufe meinen Vetter an und frage ihn. Vielleicht kennt er ja andere Leute, für die Santomauro tätig war.«
Brunetti nickte anerkennend. »Ich möchte auch alles wissen, was sich über diese Lega in Erfahrung bringen läßt, wie viele Mitglieder sie hat, wer sie sind und was sie eigentlich tun.«
Wenn er es recht überlegte, fand Brunetti es eigenartig, wie eine Organisation, die so bekannt war, daß die Leute schon Witze darüber machten, es geschafft hatte, so wenig über sich preiszugeben. Jeder kannte die Lega, aber soviel Brunetti aus seinen eigenen Erfahrungen schließen konnte, hatte niemand eine klare Vorstellung davon, was diese Lega eigentlich tat.
Vianello hatte mittlerweile sein Notizbuch herausgeholt und schrieb sich alles auf. »Soll ich über Signora Santomauro auch Erkundigungen einziehen?«
»Ja, alles, was Sie rausbekommen können.«
»Ich glaube, sie stammt ursprünglich aus Verona. Aus einer Bankiersfamilie.« Er sah
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