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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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»Ich befinde mich derzeit in einer mißlichen Lage, Brunetti, und es wäre mir sehr lieb, wenn die Verbreitung dieser Nachricht sich in Grenzen halten ließe.« Mehr sagte Patta nicht.
    »Ich werde tun, was ich kann«, meinte Brunetti lahm, während er an seine Freunde »in Journalistenkreisen« dachte, zwei Wirtschaftsredakteure, einen politischen Kolumnisten und einen Kunstkritiker.
    »Gut«, sagte Patta und machte eine Pause, bevor er hinzufügte: »Ich habe diese neue Sekretärin gebeten, sich Informationen über seine Steuern zu beschaffen.« Patta mußte nicht erklären, wessen Steuern er meinte. »Und ich habe sie angewiesen, Ihnen alles zu geben, was sie findet.« Das kam so überraschend, daß Brunetti nur nicken konnte.
    Patta beugte sich über seine Papiere, und Brunetti, der sich damit entlassen sah, verließ das Zimmer. Signorina Elettra war nicht an ihrem Schreibtisch, weshalb Brunetti ihr einen Zettel schrieb. »Können Sie bitte nachsehen, was Ihr Computer Ihnen über die Geschäfte von Avvocato Giancarlo Santomauro sagen kann?«
    Er ging wieder nach oben in sein Büro und merkte dabei, wie sich die Hitze breitmachte und ohne Rücksicht auf dicke Mauern und Marmorböden jede Ecke und Ritze des Gebäudes in Besitz nahm. Hinzu kam eine drückende Feuchtigkeit, die das Papier wellte und es an den Händen festkleben ließ. Die Fenster standen offen, und Brunetti stellte sich davor, aber es kam nur noch mehr feuchtheiße Hitze herein, und jetzt, bei Ebbe, drang der allzeit unter dem Wasser lauernde Gestank der Verwesung sogar hierher, bis dicht an den breiten Canale di San Marco. So stand er am Fenster, während der Schweiß ihm Hemd und Hose rund um den Gürtel durchnäßte, und dachte an die Berge bei Bozen und an die dicken Daunendecken, unter denen sie dort in den Augustnächten immer schliefen.
    Schließlich ging er zu seinem Schreibtisch, rief unten im Hauptbüro an und bat den Beamten am Telefon, ihm Vianello heraufzuschicken. Vianello, dessen Haut sonst um diese Jahreszeit schon so rötlichbraun wie bresaola war - dieses luftgetrocknete Rinderniet, das Chiara so gerne aß -, hatte immer noch seine blasse Winterfarbe. Wie die meisten Italiener seines Alters und seiner Herkunft hatte Vianello sich immer immun gegen statistische Wahrscheinlichkeit geglaubt. Lungenkrebs vom Rauchen bekamen andere, einen erhöhten Cholesterinspiegel von zu fettem Essen hatten andere, und nur diese anderen starben demzufolge an Herzinfarkt. Er las seit Jahren jeden Montag die Gesundheitsseite im Corriere della Sera, obwohl er wußte, daß alle diese Schrecklichkeiten nur die anderen betrafen.
    Im Frühling dieses Jahres jedoch hatte man ihm fünf Pigmentnecken im Vorkrebsstadium aus dem Rücken geschnitten und ihm dringend geraten, die Sonne zu meiden.
    Wie Saulus auf dem Weg nach Damaskus hatte Vianello eine Bekehrung erfahren, und wie Paulus hatte er versucht, seine Heilslehre zu verbreiten. Dabei hatte Vianello allerdings eine Grundeigenschaft des italienischen Charakters nicht bedacht, nämlich die Allwissenheit. Mit wem er auch sprach, alle wußten mehr über das Thema als er, mehr über die Ozonschicht, mehr über FCKW und seine Wirkung auf die Atmosphäre. Und darüber hinaus wußten sie alle bis zum letzten Mann, daß dieses Gerede über Gefahr durch die Sonne nur wieder bidonata war, ein neuer Schwindel, ein neuer Trick, wenn auch keiner genau sagen konnte, wozu dieser Schwindel eigentlich dienen sollte.
    Als Vianello, noch immer vom Geiste des Paulus erfüllt, versucht hatte, mit den Narben auf seinem Rücken zu argumentieren, bekam er zu hören, daß sein spezieller Fall nichts beweise, daß alle Statistiken falsch seien; außerdem würde ihnen so etwas nicht passieren. Und da hatte er jene bemerkenswerte Erkenntnis über die Italiener gewonnen: Es existierte keine Wahrheit jenseits der persönlichen Erfahrung, und alle Beweise, die im Widerspruch zur eigenen Ansicht standen, waren vernachlässigbar. Und so hatte Vianello, ganz im Gegensatz zu Paulus, seine Mission aufgegeben und sich statt dessen eine Tube Sonnenschutzfaktor 30 gekauft, womit er das ganze Jahr sein Gesicht eincremte.
    »Ja, Dottore?« fragte er, als er in Brunettis Büro trat. Vianello hatte Krawatte und Jackett unten gelassen und trug ein kurzärmeliges, weißes Hemd zu seiner dunkelblauen Uniformhose. Seit der Geburt seines dritten Kindes im vergangenen Jahr hatte er abgenommen und Brunetti erzählt, er versuche gerade, weiter abzunehmen

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