Brunetti 03 - Venezianische Scharade
habe ich Ihrem Kollegen eben schon gesagt. Commissario Guido Brunetti.«
»Ah ja, einen Augenblick.« Dieses Mal war Brunetti gewappnet und hielt einen Fuß bereit, um ihn sofort in die Tür stellen zu können, falls der Mann sie zu schließen versuchte, ein Trick, den er sich beim Lesen amerikanischer Krimis gemerkt hatte, bisher allerdings noch nie anwenden konnte.
Auch jetzt sollte er keine Gelegenheit dazu haben. Der Mann machte die Tür weit auf und sagte: »Bitte kommen Sie herein, Signor Commissario. Signor Ravanello ist in seinem Büro und wird sich freuen, Sie zu sehen.« Diese Aussage erschien Brunetti etwas übertrieben, aber er ließ dem Mann sein Recht auf eine eigene Meinung.
Das Büro nahm offenbar die gleiche Fläche ein wie oben die Wohnung der alten Frau. Der Mann führte ihn durch einen Raum, der ihrem Wohnzimmer entsprach: Vier gleich große Fenster gingen auf den campo hinaus. Drei Männer in dunklen Anzügen saßen an ihren Schreibtischen, aber keiner blickte von seinem Computerbildschirm hoch, als Brunetti vorbeiging. Der Mann blieb vor einer Tür stehen, die der Küchentür bei der alten Frau entsprach. Er klopfte und trat ein, ohne auf Antwort zu warten.
Das Zimmer hatte etwa dieselbe Größe wie im oberen Stock die Küche, aber wo bei der alten Frau das Spülbecken war, standen hier vier Aktenschränke. Wo sie ihren Tisch mit der Marmorplatte hatte, stand hier ein breiter Eichenschreibtisch, hinter dem ein großer, dunkelhaariger Mann mittlerer Statur in weißem Hemd und dunklem Anzug saß. Er mußte sich nicht erst umdrehen und seinen Hinterkopf zeigen, Brunetti erkannte ihn auch so als den Mann, der am Samstagnachmittag in diesem Büro gearbeitet und später an Deck des Vaporetto gestanden hatte.
Brunetti hatte ihn zwar nur aus einiger Entfernung und mit Sonnenbrille gesehen, aber es war derselbe Mann. Er hatte einen kleinen Mund und eine lange Patriziernase, die gemeinsam mit den eng zusammenstehenden Augen und den dichten schwarzen Brauen alle Aufmerksamkeit auf die Gesichtsmitte lenkte, so daß der Betrachter beim ersten Blick leicht sein Haar übersah, das sehr dicht und sehr kraus war.
»Signor Ravanello«, begann Brunetti, »ich bin Commissario Guido Brunetti.«
Ravanello stand auf und streckte ihm die Hand hin. »Ah ja, Sie kommen sicher wegen dieser schrecklichen Geschichte mit Mascari.« Dann wandte er sich an den anderen Mann. »Danke, Aldo. Ich spreche mit dem Commissario.« Worauf der andere das Büro verließ und die Tür hinter sich zumachte.
»Bitte, setzen Sie sich doch«, sagte Ravanello und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um einen der beiden vorhandenen Stühle so zu drehen, daß sie sich genau gegenübersitzen würden. Nachdem Brunetti Platz genommen hatte, ging Ravanello zu seinem Schreibtisch zurück und setzte sich ebenfalls. »Eine furchtbare Geschichte, wirklich furchtbar. Ich habe mit dem Direktorium der Bank gesprochen. Keiner von uns hat die leiseste Vorstellung, was zu tun ist.«
»Sie meinen Mascaris Nachfolge? Er war doch Direktor hier, oder?«
»Ja, das war er. Aber nein, unser Problem ist nicht, wer ihn ersetzen wird. Das ist bereits geregelt.«
Obwohl Ravanello die Pause eindeutig nur eingelegt hatte, um dann gleich zum wirklichen Problem seiner Bank zu kommen, fragte Brunetti: »Und wer ist sein Nachfolger?«
Von der Frage überrascht, blickte Ravanello auf. »Da ich der Vize war, ich. Aber das ist, wie gesagt, nicht der Grund für die Beunruhigung.«
Soweit Brunetti wußte - und die Erfahrung hatte ihn bisher nicht das Gegenteil gelehrt -, war bei einer Bank der einzige Grund für irgendeine Beunruhigung, wieviel Gewinn oder Verlust sie machte. Er lächelte neugierig und fragte: »Und was ist der Grund, Signor Ravanello?«
»Der Skandal. Der entsetzliche Skandal. Sie wissen ja, wie diskret wir sein müssen, wir Banker, und wie vorsichtig.«
Brunetti wußte, daß Bankleute besser nicht ins Spielkasino gingen oder ungedeckte Schecks ausstellten, wenn sie nicht gefeuert werden wollten, aber das schienen ihm kaum erdrückende Forderungen an jemanden, dem immerhin das Geld anderer Leute anvertraut war.
»Welchen Skandal meinen Sie, Signor Ravanello?«
»Wenn Sie Commissario der Polizei sind, kennen Sie die Umstände, unter denen Leonardos Leiche gefunden wurde.«
Brunetti nickte.
»Das ist leider hier und auch in Verona bekanntgeworden. Es haben bereits eine Reihe von Kunden angerufen, Leute, die jahrelang mit Leonardo zu tun hatten.
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