Brunetti 04 - Vendetta
fürchte, das macht keinen Unterschied, jetzt nicht mehr.«
Sie sah ihn daraufhin an, nicht auf die Worte hin, sondern den Seufzer. »Was passiert jetzt?«
»Mit Ihnen?«
»Ja.«
»Das hängt davon ab...«, begann er, denn er dachte, es würde wohl von ihrem Motiv abhängen. Aber dann fiel ihm ein, daß es ja drei waren, und so traf das nicht zu. Das Motiv würde für die Richter kaum eine Rolle spielen, nicht bei drei Toten, alle offensichtlich kaltblütig umgebracht. »Schwer zu sagen. Nichts Gutes.«
»Ich glaube, es ist mir egal«, meinte sie, und ihn überraschte die Leichtigkeit, mit der sie das sagte.
»Wieso das?«
»Weil sie es verdient hatten, alle drei.«
Brunetti wollte schon entgegnen, daß niemand den Tod verdiene, aber dann fiel ihm das Video ein, und er schwieg.
»Erzählen Sie«, sagte er.
»Sie wissen, daß ich für sie gearbeitet habe?«
»Ja.«
»Ich meine nicht jetzt. Ich meine, schon seit Jahren, seit ich in Italien bin.«
»Für Trevisan und Favero?« fragte er.
»Nein, für die nicht, aber für Männer wie sie, die dieses Geschäft betrieben, bevor sie es an Trevisan verkauften.«
»Er hat es gekauft?« fragte Brunetti, den es überraschte, daß sie darüber sprach, als ginge es um normalen Warenhandel.
»Ja. Ich weiß nicht, wie das zugegangen ist, aber ich weiß, daß die Männer, die das Geschäft betrieben, eines Tages verschwunden waren und Trevisan der neue Chef war.«
»Und Sie...?«
»Ich war sozusagen ›mittleres Management‹ Sie gebrauchte diesen Begriff aus der Unternehmenswelt mit triefender Ironie.
»Was bedeutet das?«
»Es bedeutet, daß ich meinen Arsch nicht mehr auf der Straße feilbieten mußte.« Sie schaute zu ihm hinüber, um zu sehen, ob sie ihn schockiert hatte, aber der Blick, mit dem Brunetti sie ansah, war so gelassen wie seine Stimme, als er fragte: »Wie lange haben Sie das gemacht?«
»Als Prostituierte gearbeitet?«
»Ja.«
»Ich war als Prostituierte hierhergekommen«, sagte sie und hielt dann inne. »Nein, das stimmt nicht. Ich kam als junge Frau, die zum erstenmal verliebt war, in einen Italiener, der mir die Welt zu Füßen legen wollte, wenn ich nur meine Heimat verließ und ihm folgte. Ich habe meinen Teil erfüllt, er den seinen nicht.
Wie ich schon sagte, ich stamme aus Mostar. Das heißt, daß meine Familie muslimisch war. Nicht daß einer von uns je eine Moschee von innen gesehen hätte. Außer meinem Onkel, aber den hielten alle für verrückt. Ich bin sogar bei den Nonnen in die Schule gegangen. Meine Familie meinte, da bekäme ich eine bessere Ausbildung, also habe ich zwölf Jahre katholische Schulen genossen.«
Brunetti stellte fest, daß sie auf der rechten Seite des Kanals zwischen Venedig und Padua fuhren, der Straße der Palladio-Villen. Gerade als er die Straße erkannte, tauchte jenseits des Kanals eine der Villen auf, ihre Umrisse schwach erkennbar im Mondlicht, ein einzelnes Fenster im Obergeschoß erhellt.
»Die Geschichte ist so abgedroschen, daß ich sie Ihnen gar nicht erst erzähle. Ich war verliebt. Ich kam hierher und fand mich keinen Monat später auf der Straße wieder. Ohne Paß, ohne Italienischkenntnisse, aber ich hatte bei den Schwestern sechs Jahre Latein gehabt und alle diese Gebete auswendig gelernt, da fiel es mir also leicht, Italienisch zu lernen. Und ebenso leicht lernte ich, was ich tun mußte, um Erfolg zu haben. Ich war schon immer sehr ehrgeizig gewesen und sah nicht ein, warum ich nicht auch darin Erfolg haben sollte.«
»Was haben Sie also gemacht?«
»Ich war sehr gut bei der Arbeit. Ich ließ nichts davon auf mich abfärben und konnte mich dem Mann, der die Hand über uns hatte, nützlich machen.«
»Nützlich inwiefern?«
»Ich habe die anderen Mädchen bei ihm verpfiffen; zweimal habe ich ihm von welchen berichtet, die abhauen wollten.«
»Was ist aus ihnen geworden?«
»Sie haben Prügel bekommen. Der einen hat er, glaube ich, ein paar Finger gebrochen. Sie haben uns selten so zugerichtet, daß wir nicht mehr arbeiten konnten. Schlecht fürs Geschäft.«
»Und wie haben Sie sich sonst noch nützlich gemacht?«
»Ich habe ihnen Namen von Freiern beschafft, und ich glaube, von denen wurden einige erpreßt. Ich hatte einen Blick für die nervösen Typen, und die habe ich ausgequetscht, bis sie mir früher oder später alle von ihren Ehefrauen erzählten. Wenn ich den Eindruck hatte, daß es sich lohnen könnte, habe ich ihnen zuerst ihre Namen, dann ihre Adressen entlockt. Es
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