Brunetti 04 - Vendetta
Eingang verschwand. Brunetti rannte über den Piazzale, blieb aber am Eingang stehen und versuchte in das nur schwach erhellte Innere zu spähen.
In der Glaskabine rechts vom Eingang saß ein Mann, der den Kopf hob, als Brunetti sich ihm näherte. »Ist hier eben eine Frau im grauen Mantel vorbeigekommen?«
»Bilden Sie sich ein, daß Sie von der Polizei sind?« fragte der Mann und blickte sogleich wieder auf die Zeitschrift, die er aufgeschlagen vor sich liegen hatte.
Wortlos zückte Brunetti seine Brieftasche und entnahm ihr seinen Dienstausweis. Er ließ ihn auf die Zeitschrift fallen. »Ist hier eine Frau im grauen Mantel hereingekommen?«
»Signora Ceroni«, sagte der Mann und sah jetzt auf, als er Brunetti den Ausweis zurückgab.
»Wo steht ihr Wagen?«
»Parkdeck vier. Sie muß gleich unten sein.«
Das Brummen eines Motors auf der geschwungenen Rampe, die zu den oberen Parkdecks führte, lieferte den Beweis. Brunetti wandte sich von der Kabine ab und ging zur Ausfahrt, die in die Straße zum Festland mündete. Er stellte sich mitten in die Ausfahrt, die Arme an den Seiten.
Der Wagen, ein weißer Mercedes, kam die Rampe herunter und bog in die Ausfahrt. Die Scheinwerfer strahlten Brunetti voll ins Gesicht und blendeten ihn kurz, so daß er die Augen zusammenkneifen mußte.
»He, was machen Sie da?« rief der Mann Brunetti zu, während er von seinem Stuhl stieg und aus der Kabine kam. Er kam auf Brunetti zu, aber genau in dem Moment brüllte die Hupe des Wagens auf, ohrenbetäubend zwischen den Wänden, und der Wächter sprang zurück und prallte gegen den Türpfosten. Er sah den Wagen die zehn Meter bis zu dem in der Ausfahrt stehenden Brunetti zurücklegen. Er rief noch einmal, aber jener rührte sich nicht von der Stelle. Er sagte sich, daß er hinrennen und den Polizisten aus dem Weg stoßen müsse, konnte sich aber zu keiner Bewegung überwinden.
Wieder ertönte die Hupe, und der Mann schloß die Augen. Das Quietschen der Bremsen zwang ihn, sie wieder zu öffnen, und da sah er den Wagen auf dem ölverschmierten Boden heftig schlingern, als er dem Polizisten auszuweichen versuchte, der sich noch immer nicht vom Fleck gerührt hatte. Der Mercedes streifte einen Peugeot auf Platz 17, schwenkte erneut auf die Ausfahrt zu und kam nicht einmal einen Meter vor dem Polizisten zum Stehen. Vor den Augen des Parkwächters trat der Polizist nun an die Beifahrertür und öffnete sie. Er sagte etwas, wartete kurz und stieg dann in den Wagen. Der Mercedes schoß durch die Ausfahrt und bog nach links zur Schnellstraße ab, während der Parkwächter, dem nichts Besseres zu tun einfiel, die Polizei anrief.
27
Während sie auf der Schnellstraße den Lichtern von Mestre und Marghera entgegenfuhren, betrachtete Brunetti eingehend Signora Ceronis Profil, aber sie beachtete ihn nicht und blickte starr geradeaus, darum schaute er nun rechts aus dem Fenster zum Leuchtturm von Murano und, noch weiter draußen, zu den Lichtern von Burano. »So eine klare Nacht«, sagte er. »Ich glaube, ich kann sogar Torcello da draußen erkennen.«
Sie gab Gas und fuhr bald schneller als alle anderen Wagen auf der Strecke. »Wenn ich jetzt das Steuer nach rechts herumreiße, fliegen wir ins Wasser«, sagte sie.
»Da haben Sie wahrscheinlich recht«, antwortete Brunetti.
Sie nahm den Fuß vom Gaspedal, und sie wurden wieder langsamer. Ein Wagen zog links an ihnen vorbei. »Als Sie ins Reisebüro kamen«, sagte sie, »wußte ich, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis Sie wiederkämen. Ich hätte da schon abhauen sollen.«
»Wohin wären Sie abgehauen?«
»In die Schweiz, und von da nach Brasilien.«
»Wegen der Geschäftsbeziehungen dort?«
»Die hätte ich wohl kaum benutzen können, oder?«
Brunetti dachte darüber nach, bevor er antwortete: »Nein, unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich nicht. Warum also Brasilien?«
»Weil ich dort Geld habe.«
»Und in der Schweiz?«
»Natürlich. Jeder hat Geld in der Schweiz«, blaffte sie.
Brunetti, der kein Geld in der Schweiz hatte, verstand dennoch, was sie meinte, und sagte: »Klar.« Dann fragte er: »Aber dort könnten Sie nicht bleiben?«
»Nein. Brasilien ist besser.«
»Wahrscheinlich. Aber jetzt können Sie nicht mehr hin.«
Sie antwortete nicht.
»Wollen Sie mir davon erzählen? Ich weiß, wir sind nicht in der Questura, und Sie haben Ihren Anwalt nicht dabei, aber ich wüßte gern, warum.«
»Fragen Sie als Polizist oder als Mensch?«
Er seufzte. »Ich
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