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Brunetti 04 - Vendetta

Brunetti 04 - Vendetta

Titel: Brunetti 04 - Vendetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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geschehen sei und sie sich so lange gedulden müßten, bis die Polizei ihre Personalien aufgenommen habe.
    Als er geendet hatte, entriegelte der Lokführer die Türen, und die Polizisten stiegen in den Zug. Dummerweise hatte niemand daran gedacht, auch den Leuten auf dem Bahnsteig eine Erklärung zu geben, weshalb diese nun ebenfalls in den Zug drängten und sich rasch unter die anderen Fahrgäste mischten. Zwei Männer im zweiten Wagen versuchten sich mit der Bemerkung an dem Beamten im Gang vorbeizudrängeln, sie hätten nichts gesehen, wüßten nichts und seien sowieso schon spät dran. Der Beamte hielt seine Maschinenpistole quer vor die Brust, womit er wirkungsvoll den Gang versperrte und die Männer in ein Abteil abdrängte, wo sie sich murrend über die Arroganz der Polizei und ihre Rechte als Bürger ausließen.
    Am Ende stellte sich heraus, daß sich im Zug außer denen, die mit den Polizisten eingestiegen waren, nur vierunddreißig Personen befanden. Nach einer halben Stunde hatte die Polizei von allen die Namen und Adressen notiert und sie gefragt, ob ihnen unterwegs etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei. Zwei erinnerten sich an einen dunkelhäutigen Hausierer, der den Zug in Vicenza verlassen habe, einer wollte kurz vor Verona einen Mann mit langen Haaren aus der Toilette kommen gesehen haben, und irgend jemand hatte in Mestre eine Frau mit Pelzhut aussteigen sehen, aber sonst hatte keiner etwas in irgendeiner Weise Ungewöhnliches bemerkt.
    Als es schon so aussah, als sollte der Zug die ganze Nacht stehenbleiben, und Leute die Telefone zu stürmen begannen, um ihre Verwandten in Triest anzurufen und zu sagen, daß mit ihrer Ankunft nicht mehr zu rechnen sei, fuhr eine Lokomotive rückwärts an den letzten Wagen und machte ihn so unvermittelt zum ersten. Drei Arbeiter in blauen Anzügen krochen unter den Zug und kuppelten den Wagen, in dem der Tote lag, vom Rest des Zuges ab. Ein Schaffner lief den Bahnsteig entlang und rief: »In partenza, in partenza, siamo in partenza«, und die Fahrgäste stiegen eilig ein. Der Schaffner schlug eine Tür zu, dann noch eine und sprang schließlich, gerade als der Zug langsam aus der Bahnhofshalle zu rollen begann, selbst hinein. Indessen versuchte Cristina Merli im Büro des Bahnhofsvorstehers zu erklären, warum man sie für das Ziehen der Notbremse nicht mit einer Million Lire bestrafen dürfe.

5
    Guido Brunetti erfuhr von dem Mord an Avvocato Carlo Trevisan erst am nächsten Morgen, und zwar auf wenig polizeigerechte Weise, nämlich aus den schreienden Schlagzeilen des Gazzettino, desselben Blattes, das zweimal Avvocato Trevisans Wahl in den Stadtrat laut begrüßt hatte. Avvocato assassinato sul Treno, brüllte die Schlagzeile, während La Nuova, wie stets dem Dramatischen zugeneigt, von Il Treno della Morte sprach. Brunetti sah diese Schlagzeilen auf dem Weg zur Arbeit, kaufte beide Blätter und blieb dann lesend mitten auf der Ruga Orefici stehen, während die morgendlichen Passanten unbeachtet an ihm vorbeigingen. Die Meldungen nannten nur die kargen Fakten: Im Intercity erschossen, Leiche bei Fahrt über Lagune entdeckt, übliche polizeiliche Ermittlungen.
    Brunetti sah auf und ließ den Blick über die Obst- und Gemüsestände schweifen, ohne etwas zu sehen. »Übliche polizeiliche Ermittlungen«? Wer hatte letzte Nacht Dienst gehabt? Warum hatte man ihn nicht gerufen? Und wenn schon nicht ihn, welchen seiner Kollegen dann?
    Er wandte sich vom Zeitungskiosk ab und setzte seinen Weg zur Questura fort, wobei er im Geiste die verschiedenen Fälle durchging, an denen sie jeweils arbeiteten, um sich schon einmal auszurechnen, wer wohl jetzt mit diesem betraut würde. Brunetti selbst stand gerade kurz vor dem Abschluß einer Ermittlung, die mit dem gigantischen, wenn auch auf venezianische Maßstäbe verkleinerten Spinnennetz aus Bestechung und Korruption zu tun hatte, das sich in den letzten Jahren von Mailand her ausgebreitet hatte. Da waren Superschnellstraßen auf dem Festland gebaut worden, eine davon als Zubringer zum Flughafen, Milliarden Lire waren dafür ausgegeben worden. Und erst nach Fertigstellung hatte man sich überhaupt Gedanken darüber gemacht, daß der Flughafen mit seinen täglich kaum hundert Starts und Landungen bereits bestens durch Straßen, Busse, Taxis und Boote mit der Stadt verbunden war. Erst da war man auf die Idee gekommen, den enormen Aufwand an öffentlichen Geldern für eine Straße in Frage zu stellen, die auch beim allerbesten

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