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Brunetti 04 - Vendetta

Brunetti 04 - Vendetta

Titel: Brunetti 04 - Vendetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Commissario Platz genommen hatte, fragte Patta: »Haben Sie von der Sache gehört?«
    Unnötig zu fragen, von welcher »Sache« die Rede war. »Ja«, antwortete Brunetti. »Was ist passiert?«
    »Jemand hat ihn letzte Nacht im Zug aus Turin erschossen. Zwei Schüsse, aus nächster Nähe. In den Körper. Einer muß eine Arterie getroffen haben, denn er hat stark geblutet.« Wenn Patta »muß« sagte, konnte das nur heißen, daß die Autopsie noch nicht vorgenommen war und er lediglich mutmaßte.
    »Wo waren Sie gestern abend?« fragte Patta, fast als wollte er Brunetti als Verdächtigen ausschließen, bevor er ins Detail ging.
    »Wir haben bei Freunden zu Abend gegessen.«
    »Wie ich hörte, hat man versucht, Sie zu Hause zu erreichen.«
    »Ich war bei Freunden«, wiederholte Brunetti.
    »Warum haben Sie keinen Anrufbeantworter?«
    »Ich habe zwei Kinder.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das heißt, wenn ich einen Anrufbeantworter hätte, müßte ich mir dauernd die Nachrichten ihrer Freunde anhören.« Oder die vielfältigen Ausflüchte der Kinder selbst für ihr Zuspätkommen oder ihre Abwesenheit. Es hieß zudem, daß nach Brunettis Meinung Kinder auch die Pflicht hatten, Nachrichten für ihre Eltern entgegenzunehmen, aber er hatte keine Lust, dieses Thema mit Patta zu bereden.
    »So ist der Fall bei mir gelandet«, sagte Patta, ohne seine Verärgerung auch nur ansatzweise zu verbergen.
    Brunetti hatte den Verdacht, daß eine Entschuldigung von ihm erwartet wurde. Er sagte nichts.
    »Ich bin zum Bahnhof gefahren. Die polizia ferroviaria hatte natürlich alles verpfuscht.« Patta sah auf seinen Schreibtisch und schob Brunetti ein paar Fotos hinüber.
    Brunetti beugte sich vor, nahm die Bilder und sah sie sich an, während Patta sich weiter über die Inkompetenz der Bahnpolizei ausließ. Das erste Bild war von der Abteiltür aus aufgenommen und zeigte den Körper eines Mannes, der zwischen den Sitzen auf dem Rücken lag. Der Blickwinkel machte es unmöglich, mehr als den Hinterkopf des Mannes zu erkennen, aber die dunkelroten Flecken auf dem sich nach oben wölbenden Bauch waren unverkennbar. Das nächste Bild zeigte den Körper von der anderen Seite des Abteils und mußte durchs Fenster aufgenommen worden sein. Auf diesem sah Brunetti, daß die Augen des Mannes geschlossen waren und eine seiner Hände einen Füllfederhalter umklammert hielt. Die übrigen Bilder zeigten wenig mehr, obwohl sie im Abteil aufgenommen worden waren. Der Mann schien zu schlafen; der Tod hatte jeden Ausdruck von seinem Gesicht gewischt und nur noch so eine Art Schlaf des Gerechten übriggelassen.
    »Wurde er ausgeraubt?« fragte Brunetti in Pattas anhaltendes Lamento hinein.
    »Wie?«
    »Wurde er ausgeraubt?«
    »Anscheinend nicht. Seine Brieftasche war noch da, und sein Aktenkoffer lag, wie Sie sehen, auf dem Sitz gegenüber.«
    »Mafia?« fragte Brunetti, wie man das so fragte, fragen mußte.
    Patta zuckte die Achseln. »Er war Anwalt«, meinte er und überließ es Brunetti, daraus abzuleiten, ob ihn das einer Hinrichtung durch die Mafia mehr oder weniger würdig machte.
    »Ehefrau?« fragte Brunetti, der damit zum Ausdruck brachte, daß er sowohl Italiener als auch verheiratet war.
    »Unwahrscheinlich. Sie ist Geschäftsführerin des Lions Club«, antwortete Patta, und Brunetti wurde von der Absurdität dieser Bemerkung so überrumpelt, daß er unwillkürlich lachen mußte, doch als er Pattas Blick sah, machte er rasch ein Husten daraus, das sich zu einem echten Hustenanfall ausweitete, von dem er mit rotem Gesicht und tränenden Augen wieder aufsah.
    Als er soweit zu sich gekommen war, daß er normal atmen konnte, fragte Brunetti: »Und Geschäftspartner? Wäre da etwas zu holen?«
    »Keine Ahnung.« Patta klopfte mit einem Finger auf den Schreibtisch, um Brunettis Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Ich habe mir die derzeit laufenden Fälle angesehen, und wie es aussieht, haben Sie am wenigsten zu tun.« Zu den Eigenschaften, die Patta für Brunetti besonders liebenswert machten, gehörte dessen unfehlbares Gespür für den richtigen Ausdruck. »Ich möchte den Fall gern Ihnen übertragen, aber vorher will ich die Gewißheit haben, daß Sie ihn so behandeln, wie es sich gehört.«
    Für Brunetti hieß das, Patta wollte die Gewißheit haben, daß er der gesellschaftlichen Stellung, die sich aus der Tätigkeit für den Lions Club ergab, gebührend Rechnung trug. Da ihm klar war, daß er nicht hier säße, wenn Patta nicht bereits

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