Brunetti 04 - Vendetta
gefallen lassen.«
Martucci schwieg.
»Keine?« wiederholte Brunetti.
»Nein.«
»Also waren Sie letzte Nacht allein zu Hause?«
»Das habe ich bereits gesagt, Commissario.«
»Ach ja, das haben Sie.«
Martucci stand unvermittelt auf. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, möchte ich jetzt gehen.«
Mit einer begütigenden Handbewegung sagte Brunetti: »Nur noch ein paar Fragen, Signor Martucci.«
Martucci sah Brunettis Blick und setzte sich wieder.
»In welcher Beziehung standen Sie zu Signor Trevisan?«
»Ich habe für ihn gearbeitet.«
»Für ihn oder mit ihm zusammen, Avvocato Martucci?« »Beides, wenn man so will.« Brunetti ermunterte ihn mit einem fragenden Blick, und Martucci fuhr fort: »Zuerst das eine, dann das andere.« Er sah Brunetti an, und als er merkte, daß dies nicht genug war, fuhr er fort: »Zuerst habe ich für ihn gearbeitet, aber letztes Jahr haben wir vereinbart, daß ich zum Ende dieses Jahres Teilhaber seiner Kanzlei werden sollte.«
»Zu gleichen Teilen?«
Martuccis Stimme blieb so ruhig wie sein Blick. »Darüber hatten wir noch nicht gesprochen.«
Brunetti hielt das für ein ungewöhnliches Versäumnis, ungewöhnlich vor allem unter Juristen. Ein Versäumnis oder, wenn man bedachte, daß der andere Vertragspartner tot war, vielleicht etwas anderes.
»Und im Falle seines Todes?« fragte Brunetti.
»Darüber haben wir nicht gesprochen.«
»Warum nicht?«
Martuccis Stimme wurde hart. »Das erklärt sich doch wohl von selbst. Menschen planen nicht ihren Tod voraus.«
»Aber Menschen sterben«, bemerkte Brunetti.
Martucci ging darauf nicht ein.
»Und nun, nachdem Signor Trevisan tot ist, übernehmen Sie die Leitung der Kanzlei?«
»Wenn Signora Trevisan mich darum bittet, ja.«
»Ich verstehe«, sagte Brunetti, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Martucci zu und fragte: »Sie haben also gewissermaßen Signor Trevisans Klienten geerbt?«
Martucci mußte sich sichtlich beherrschen. »Wenn diese Klienten mich als ihren Anwalt zu behalten wünschen, dann ja.« »Tun sie das?«
»Es ist noch zu früh nach Signor Trevisans Tod, um das wissen zu können.«
»Und Signor Lotto«, wechselte Brunetti jetzt den Kurs, »in welcher Beziehung stand er zur Kanzlei, oder welche Rolle spielte er darin?«
»Er war unser Steuerberater und Geschäftsführer«, antwortete Martucci.
»Für beide, Sie und Signor Trevisan, da Sie doch zusammenarbeiteten?«
»Ja.«
»Und nach Signor Trevisans Tod war Signor Lotto weiter Ihr Steuerberater?«
»Gewiß. Er war mit den Geschäften bestens vertraut. Arbeitete seit über fünfzehn Jahren für Carlo.«
»Und hatten Sie vor, ihn als Ihren Steuerberater und Geschäftsführer zu behalten?«
»Natürlich.«
»Hatte Signor Lotto irgendeinen rechtlichen Anspruch auf die Kanzlei oder einen Teil davon?«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
Das kam Brunetti seltsam vor, nicht nur weil seine Frage eindeutig genug war, sondern weil Martucci als Jurist sie hätte verstehen müssen. »War die Kanzlei eine irgendwie geartete Gesellschaft, und gehörte Signor Lotto ein Teil davon?« fragte Brunetti.
Martucci überlegte ein Weilchen, bevor er antwortete. »Soviel ich weiß, nicht, aber es könnte sein, daß irgendeine private Abmachung zwischen den beiden bestand.«
»Wie hätte die aussehen können?« »Keine Ahnung. Sie hätten alles mögliche vereinbaren können.«
»Ich verstehe«, sagte Brunetti, dann fragte er in normalem Umgangston: »Und Signora Trevisan?«
Martuccis Schweigen machte deutlich, daß er die Frage erwartet hatte. »Was soll mit ihr sein?«
»Gehören ihr irgendwelche Anteile an der Firma?«
»Das hängt von den Bestimmungen in Carlos Testament ab.«
»Das haben nicht Sie aufgesetzt?«
»Nein, er selbst.«
»Und Sie kennen den Inhalt nicht?«
»Natürlich nicht. Wieso sollte ich?«
»Ich dachte, daß man als Teilhaber...« begann Brunetti und beendete den Satz mit einer Handbewegung, die nichts und alles bedeuten konnte.
»Ich war nicht sein Teilhaber und wäre es erst mit Beginn des nächsten Jahres geworden.«
»Ach ja, natürlich«, pflichtete Brunetti ihm bei. »Ich dachte nur, Sie hätten vielleicht im Hinblick auf Ihre künftige Teilhaberschaft irgendeine Vorstellung vom Inhalt.«
»Nicht die mindeste.«
»Aha.« Brunetti erhob sich. »Ich denke, das ist vorerst alles, Signor Martucci. Ich danke Ihnen sehr für Ihre bereitwilligen Auskünfte.«
»Das ist alles?« fragte Martucci und erhob sich.
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