Brunetti 04 - Vendetta
einem Restaurant im Univiertel.«
»Wie haben Sie es gefunden?«
»Zufall. Von den Leuten, die dort arbeiten, liest keiner den Gazzettino, und sie haben Faveros Foto nicht gesehen, als die Geschichte erschien. Aber heute morgen war der Ober beim Friseur und hat es dort in einem Stapel alter Zeitungen entdeckt. Er hat Favero nach dem Foto erkannt und uns angerufen. Ich habe eben mit dem Restaurant gesprochen, war aber noch nicht dort, um den Ober selbst zu befragen. Ich dachte, Sie möchten vielleicht mitkommen.«
»Wann?«
»Da es ein Restaurant ist, zum Mittagessen?«
Brunetti warf einen Blick auf seine Uhr. Es war zwanzig vor elf. »Ich brauche eine halbe Stunde zum Bahnhof«, sagte er. »Dort nehme ich den ersten Zug, der fährt. Können Sie mich abholen?«
»Ich werde da sein«, sagte della Corte und legte auf.
Er stand dann auch tatsächlich auf dem Bahnsteig, als der Zug in Padua einfuhr. Brunetti bahnte sich einen Weg durch die Menge der Studenten, die auf dem Bahnsteig herumwimmelten und sofort zu den Türen drängten, kaum daß diese aufgingen.
Die beiden Männer gaben sich die Hand und gingen in die Unterführung hinunter, die sie unter den Gleisen hindurch und auf der anderen Seite wieder nach oben aus dem Bahnhof hinausführte, wo ein Streifenwagen mit Fahrer und laufendem Motor stand.
Während der Wagen sich durchs Verkehrsgewühl quälte, fragte Brunetti: »Hat sich irgend jemand von Ihrer Dienststelle mit meinem Chef in Verbindung gesetzt?«
»Patta?« fragte della Corte, sprach den Namen so, daß es wie eine kleine Explosion klang, die alles mögliche bedeuten konnte. Oder nichts.
»Ja.«
»Nicht daß ich wüßte. Warum?«
»Er hat mir nahegelegt, die Ermittlungen um Faveros Tod Ihnen zu überlassen. Seinen Selbstmord. Ich habe mich nur gefragt, ob diese Empfehlung wohl von hier kam.«
»Möglich«, sagte della Corte.
»Hatten Sie noch weitere Schwierigkeiten?«
»Nein, nicht direkt. Alle behandeln den Fall als Selbstmord. Was ich unternehme, mache ich in meiner Freizeit.«
»Wie jetzt?« fragte Brunetti mit einer Geste, die sich auf das Auto bezog.
»Ja. Ich darf immer noch zu Mittag essen, wo ich will.«
»Und dazu einen Freund aus Venedig einladen?« fragte Brunetti.
»Genau«, bestätigte della Corte, und in dem Moment hielt der Wagen am Bürgersteig vor dem Restaurant an. Der uniformierte Fahrer sprang hinaus, öffnete die Tür und hielt sie auf, während die beiden Männer ausstiegen. »Gehen Sie irgendwo was essen, Rinaldi«, sagte della Corte. »Holen Sie uns um drei ab.«
Der junge Mann salutierte und stieg wieder in den Wagen.
Zwei Minikiefern in großen Terrakottakübeln standen rechts und links der Tür, die sich öffnete, als sie darauf zugingen. »Buon giorno, signori«, begrüßte sie ein dunkel gekleideter Mann mit langem Gesicht und den Augen eines Bassets.
»Guten Tag«, sagte der Capitano. »Della Corte. Ich habe einen Tisch für zwei Personen bestellt.«
»Der Tisch ist bereit, wenn Sie bitte mitkommen wollen.«
Der Mann blieb kurz stehen, um von einem Tischchen bei der Tür zwei längliche Speisekarten mitzunehmen, bevor er sie in einen Raum führte, der so klein war, daß nicht mehr als sechs oder sieben Tische darin Platz hatten, die bis auf einen alle besetzt waren. Durch einen hohen Bogen sah Brunetti einen zweiten Raum, auch dieser gut gefüllt, wie es aussah mit lauter Geschäftsleuten. Weil die hohen Fenster wenig Licht hereinließen, hatten beide Räume zusätzlich eine sanfte künstliche Beleuchtung, die geschickt zwischen den Eichenbalken an der Decke versteckt war. Sie kamen an einem runden Tisch mit allerlei Vorspeisen vorbei: Salami, Meeresfrüchte, Schinken, Tintenfisch. Der Mann führte sie an den leeren Tisch, hielt Brunetti den Stuhl bereit und legte ihnen dann die Speisekarten vor. »Darf ich Ihnen einen Prosecco anbieten, signori?« fragte er.
Beide nickten, und er ging.
»Der Besitzer?« erkundigte sich Brunetti.
»Ja.«
»Warum ist er so aufgeregt?«
»Jeder ist aufgeregt, wenn die Polizei kommt, um Fragen zu stellen«, sagte della Corte und nahm die Speisekarte. Er hielt sie auf Armeslänge von sich weg und las. Als er sie schließlich hinlegte, meinte er: »Ich habe gehört, die Ente soll hier sehr gut sein.«
Tatsächlich fand Brunetti nichts Verlockenderes, obwohl er die Karte eingehend studierte. Kaum hatte er sie zugeklappt und neben seinen Teller gelegt, als der Besitzer auch schon mit einer Flasche Prosecco zurückkam. Er
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