Brunetti 05 - Acqua alta
dafür interessiert hatte, wie man das Ding bediente. Aber dann schwang die Musik sich zu noch größerer Schönheit auf, alles war Harmonie, und die Symphonie endete. Erleichtert drehte sie sich zu Brunetti um.
Sie wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da schallten erneut die Anfangstakte der Symphonie durchs Zimmer. Wütend fuhr sie herum und ließ die Hand wie eine Peitsche nach dem CD-Spieler zucken, als wollte sie ihm dadurch Schweigen gebieten. Dabei streifte sie die Plastikhülle der CD, die an das Gerät gelehnt war und nun zu Boden fiel, mit einer Ecke aufkam, aufsprang und ihren Inhalt zu Flavias Füßen verstreute. Sie trat danach, traf ins Leere und sah suchend nach unten, weil sie das Ding tottrampeln und damit der Musik ein Ende machen wollte. Da spürte sie Brunetti neben sich. Er griff an ihr vorbei zum Lautstärkeregler und drehte ihn nach links. Die Musik erstarb, und sie standen in der angespannten Stille des Zimmers. Er bückte sich nach der Hülle, dann noch einmal, um das herausgefallene Begleitheft samt einem kleinen Zettel aufzuheben, der darunter gelegen hatte.
»Ein Mann hat angerufen. Sie haben Flavia.«
Weiter stand nichts darauf. Keine Uhrzeit, kein Hinweis auf ihre Absichten. Ihre Abwesenheit erklärte ihm alles.
Wortlos reichte er Flavia den Zettel.
Sie las und verstand sofort. Sie knüllte das Papier zu einer kleinen Kugel zusammen, öffnete die Finger aber gleich darauf wieder und strich den Zettel auf dem Bücherregal vor sich glatt, stumm und in dem schrecklichen Bewußtsein, daß dies das letzte Lebenszeichen von Brett sein konnte.
»Wann bist du hier weggegangen?« fragte Brunetti.
»Gegen zwei. Warum?«
Er sah auf die Uhr und überlegte. Sie hatten mit dem Anruf sicher gewartet, bis Flavia ein gutes Stück von der Wohnung entfernt war, und es mußte ihr jemand gefolgt sein, um sich zu vergewissern, daß sie nicht plötzlich umkehrte. Es war kurz vor sieben, also hatten sie Brett schon ein paar Stunden. Es fiel Brunetti nicht ein zu fragen, wer dahintersteckte. Er überlegte nur, wohin man sie wohl gebracht hatte. Zu Murinos Laden? Höchstens, wenn der Antiquitätenhändler in die Morde verstrickt war, und das schien unwahrscheinlich. Der Mann hatte zwar etwas Hinterhältiges an sich, aber nicht diese animalische Brutalität, die man gegen Semenzato gerichtet hatte. Blieb eigentlich nur La Capras Palazzo. Kaum hatte Brunetti das gedacht, begann er auch schon zu planen, wie er da hineinkäme, mußte aber sehr schnell einsehen, daß er aufgrund von drei Daten auf Kreditkartenquittungen und der Beschreibung eines Zimmers, das ebensogut eine Privatgalerie wie eine Zelle sein konnte, nie und nimmer einen Durchsuchungsbefehl bekäme. Brunettis Mutmaßungen zählten da nicht, schon gar nicht, wenn sie sich auf einen Mann von La Capras Stellung und sichtbarem Wohlstand bezogen.
Sollte Brunetti noch einmal zu dem Palazzo gehen, hätte er allen Grund zu der Annahme, daß La Capra ihn nicht einlassen würde, und ohne dessen Einverständnis war da nicht hineinzukommen. Es sei denn ...
Flavia packte ihn am Arm. »Weißt du, wo sie ist?«
»Ich glaube, ja.«
Flavia ging in die Diele und kam gleich darauf mit einem Paar hoher schwarzer Gummistiefel zurück. Sie setzte sich aufs Sofa, zog die Stiefel über ihre nassen Strümpfe, stand auf und stellte sich neben Brunetti. »Ich komme mit«, sagte sie. »Wo ist sie?«
»Flavia -« begann er, aber sie schnitt ihm das Wort ab.
»Ich habe gesagt, ich komme mit.«
Brunetti wußte, daß er sie nicht zurückhalten konnte, und entschied sofort, was zu tun war. »Noch ein Anruf vorher. Ich erkläre es unterwegs.« Er nahm eilig den Telefonhörer, wählte die Nummer der Questura und ließ sich mit Vianello verbinden.
Als der Sergente am Apparat war, sagte Brunetti: »Vianello, ich bin's. Ist jemand bei Ihnen?«
Auf Vianellos bejahendes Brummen fuhr Brunetti fort: »Dann hören Sie einfach nur zu. Sie haben mir doch mal erzählt, daß Sie drei Jahre im Einbruchsdezernat waren?« Wieder ein tiefes Brummen. »Sie könnten mir einen Gefallen tun. Eine Tür. Zu einem Gebäude.« Das nächste Brummen klang eindeutig fragend. »Sie ist aus Holz, mit Metall verstärkt, neu. Zwei Schlösser, glaube ich.« Diesmal war die Antwort ein beleidigtes Schnauben über solche Nichtigkeiten. Nur zwei Schlösser. Nur Stahlverstärkung. Brunetti überlegte schnell, versuchte sich die Umgebung vor Augen zu rufen. Er sah aus dem Fenster; es war inzwischen
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