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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Canal Grande.
    Draußen rauschte der Regen nieder, und sie merkte plötzlich, wie die nassen Sachen ihr am Körper klebten. Schwankend stieg sie wieder vom Stuhl und sah sich suchend nach irgendeiner Wärmequelle im Zimmer um, aber es gab keine. Schließlich setzte sie sich auf den Stuhl, schlang die Arme um ihren Körper und versuchte der Kälteschauer Herr zu werden, die sie schüttelten. Sie preßte die Hände seitlich an den Körper und spürte etwas Hartes. Die Gürtelschließe. Sie umfaßte sie durch den feuchten Stoff hindurch wie einen Talisman und drückte sie fest an sich.
    Sie hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war. Das durch die Fenster einfallende Licht wurde schwächer, verwandelte sich von bleigrauem Tageslicht in das Halbdunkel der heraufziehenden Nacht. Sie wußte, daß irgendwo ein Lichtschalter sein mußte, aber ihr fehlte die Kraft, ihn zu suchen. Außerdem würde Licht nichts ändern; nur Wärme konnte helfen.
    Irgendwann hörte sie einen Schlüssel im Schloß, dann ging die Tür auf und ließ den Mann herein, der sie geschlagen hatte. Hinter ihm kam der jüngere Mann, der sie die Treppe heraufgeführt hatte, sie wußte nicht, vor wie langer Zeit.
    »Professoressa«, sagte der ältere Mann, und er lächelte. »Ich hoffe, wir können unsere Unterhaltung jetzt fortsetzen.« Er drehte sich um und sagte etwas zu dem jüngeren Mann in einem Dialekt, den sie nicht verstand. Sie kamen zusammen auf sie zu, und Brett konnte nicht anders: Sie stand auf und schob den Stuhl zwischen sich und die beiden.
    Der ältere Mann blieb an der Vitrine mit der braunen Schale stehen und betrachtete sie. Der Jüngere stellte sich neben ihn, wobei sein Blick zwischen ihm und Brett hin- und herging.
    Wieder hob der Ältere mit der Behutsamkeit des Kenners, die jede seiner Bewegungen kennzeichnete, wenn er mit den Stücken seiner Sammlung hantierte, die Plexiglasabdeckung hoch und nahm die braune Schale heraus. Wie ein Priester, der eine Weihegabe zum Altar trägt, kam er, beide Hände um die Schale gelegt, durchs Zimmer zu Brett geschritten. »Wie ich schon sagte, bevor wir unterbrochen wurden, stammt sie meiner Ansicht nach aus der Provinz Tsinghai, sie könnte aber auch aus Kansu sein. Sie verstehen, warum ich sie keinem Experten zur Begutachtung schicken kann.«
    Die Müdigkeit schlug erneut über ihr zusammen, und sie ließ sich auf den Stuhl sinken. Sie hob den Kopf und sah ihn an, dann zu dem jungen Mann, der einem Meßdiener gleich an seiner Seite erschienen war. Sie warf einen Blick auf die Schale, sah ihre Schönheit und schaute uninteressiert wieder weg.
    »Sehen Sie«, sagte er und drehte die Schale ein ganz klein wenig, »hier an dieser Stelle sieht man genau, wo die Wülste verstrichen wurden. Ist es nicht merkwürdig, daß es so sehr aussieht, wie auf der Töpferscheibe gemacht? Und das Dekor. Es hat mich schon immer interessiert, wie primitive Völker geometrische Formen verwendet haben, fast als hätten sie die Zukunft vorausgesehen und gewußt, daß wir wieder darauf zurückkommen würden.« Nur widerstrebend wandte er seine Aufmerksamkeit von der Schale ab und Brett zu. »Wie gesagt, es ist das schönste Stück in meiner Sammlung. Vielleicht nicht das wertvollste, mir aber trotzdem das liebste.« Er lachte leise in sich hinein - ein Scherz unter Kollegen. »Und was ich nicht alles anstellen mußte, um es zu bekommen.«
    Sie wollte Augen und Ohren verschließen, um diesem Irrsinn nicht zuhören zu müssen. Aber sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie ihn ignoriert hatte, und sah darum jetzt zu ihm auf und gab ein fragendes Grunzen von sich, denn zu sprechen konnte sie nicht wagen, weil es so weh tun würde.
    »Ein Sammler in Florenz. Ein alter Mann und sehr starrsinnig. Ich hatte ihn kennengelernt, weil wir geschäftlich miteinander zu tun hatten, und als er hörte, daß ich mich für chinesische Keramik interessierte, lud er mich ein, mir seine Sammlung anzusehen. Tja, und als ich diese Schale sah, habe ich mich sofort in sie verliebt und wußte, ich würde nicht mehr froh werden, bis ich sie besaß.«
    Er hob die Schale etwas höher und drehte sie wieder, betrachtete die zarten schwarzen Linien, die um sie herum verliefen und sich nach innen fortsetzten. »Ich habe ihn gefragt, ob er sie mir verkauft, aber er wollte nicht und sagte, Geld interessiere ihn nicht. Ich bot mehr, machte ihm ein Angebot, das weit über dem Wert der Schale lag, und verdoppelte noch einmal, als er wieder

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