Brunetti 05 - Acqua alta
vollständig dunkel, und es regnete noch genauso heftig wie zuvor. »Wir treffen uns am Campo San Aponal. So schnell, wie Sie dort sein können. Und, Vianello«, fügte er hinzu, »ziehen Sie nicht Ihren Uniformmantel an.« Ein tiefes Lachen kam durch die Leitung, dann hatte Vianello aufgelegt.
Als sie die Treppe hinunterkamen, war das Wasser noch weiter gestiegen, und hinter der Tür hörten sie den Regen niederrauschen.
Sie nahmen ihre Schirme und traten ins Freie, wo das Wasser ihnen fast bis über die Stiefel reichte. Nur wenige Leute waren unterwegs, so daß sie schnell zur Rialtobrücke gelangten, wo das Wasser noch höher stand. Wären die hölzernen Stege auf ihren Eisenstützen nicht gewesen, ihnen wäre das Wasser in die Stiefel gelaufen, und sie hätten nicht weitergehen können. Auf der anderen Seite der Brücke stiegen sie wieder ins Wasser hinunter und wandten sich Richtung San Polo, beide inzwischen durchnäßt und erschöpft vom mühsamen Gehen in der steigenden Flut. Am Campo San Aponal schlüpften sie in eine Bar, um auf Vianello zu warten, froh, dem beharrlich trommelnden Regen entkommen zu sein.
So lange waren sie schon von dieser Welt aus Wasser umgeben, daß es ihnen nicht merkwürdig vorkam, hier in der Bar bis über die Knöchel im Wasser zu stehen, während sie den Barmann hinter seinem Tresen platschend hin und her gehen und mit Gläsern und Tassen hantieren hörten.
Die Glastüren der Bar waren innen beschlagen, so daß Brunetti immer wieder mit dem Ärmel ein Guckloch freiwischen mußte, um nach Vianello Ausschau zu halten. Gebeugte Gestalten bahnten sich ihren Weg über den kleinen campo. Viele Leute verzichteten schon darauf, ihre Regenschirme überhaupt mitzunehmen, weil der launische Wind mal von rechts, mal von links, mal von unten kam und den Regen vor sich herpeitschte.
Plötzlich spürte Brunetti einen starken Druck von der Seite und sah, daß Flavia ihren Kopf an seinen Arm gelehnt hatte. Er mußte sich weit hinunterbeugen, um zu verstehen, was sie sagte. »Ihr passiert doch nichts, oder?«
Ihm fiel nichts ein, keine tröstenden Worte, keine Lüge. Er konnte nichts weiter tun als den Arm um ihre Schultern legen und sie fester an sich ziehen. Er spürte, wie sie zitterte, und sagte sich, daß es die Kälte sei, nicht Angst. Aber noch immer fehlten ihm die Worte.
Kurz darauf tauchte von der Rialtoseite her Vianellos bärenähnliche Gestalt am Ende des kleinen campo auf. Der Wind wehte seinen Regenmantel nach hinten, und darunter sah Brunetti ein Paar schwarze, hüfthohe Stiefel. Er drückte Flavias Arm. »Er ist da.«
Sie löste sich langsam von ihm, schloß einen Moment die Augen und versuchte zu lächeln.
»Geht's wieder?«
»Ja«, antwortete sie und nickte wie zum Beweis.
Er zog die Eingangstür der Bar auf und rief nach Vianello, der über den campo zu ihnen geeilt kam. Wind und Regen schlugen herein, dann stapfte Vianello in die überheizte Bar, die durch seine Anwesenheit gleich etwas kleiner wirkte. Er nahm seine Strickmütze ab und klatschte sie ein paarmal gegen eine Stuhllehne, daß die Tropfen weit um ihn spritzten. Dann warf er die durchnäßte Mütze auf einen Tisch und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, wodurch er noch mehr Wasser um sich herum verteilte. Er schaute kurz zu Brunetti, sah Flavia und fragte: »Wo ist es?«
»Am Wasser, am Ende der Calle Dolera. Das kürzlich restaurierte Gebäude. Auf der linken Seite.«
»Das mit den Gittern?« fragte Vianello.
»Genau«, antwortete Brunetti. Gab es in dieser Stadt eigentlich ein Gebäude, das Vianello nicht kannte?
»Was soll ich tun, Commissario? Uns Zugang verschaffen?«
Brunetti hörte das »uns« mit großer Erleichterung.
»Ja. Das Gebäude hat einen Innenhof, aber bei dem Wetter ist da wahrscheinlich niemand.« Vianello nickte zustimmend. Wer auch nur ein bißchen Verstand hatte, war an einem solchen Abend drinnen.
»Also gut. Warten Sie hier, und ich sehe zu, was sich machen läßt. Wenn es das Haus ist, das ich meine, dürfte es keine Probleme geben. Dauert nicht lange. Geben Sie mir drei Minuten, dann kommen Sie nach.« Er sah kurz zu Flavia, griff sich seine Mütze und ging wieder hinaus in den strömenden Regen.
»Was hast du vor?« fragte Flavia.
»Ich will rein und sehen, ob sie da ist«, sagte er, wobei er noch keine konkrete Vorstellung hatte, was das bedeutete. Brett konnte überall in dem Palazzo sein, in jedem der zahllosen Zimmer. Oder sie war gar nicht mehr drinnen, sondern
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