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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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er wieder inne.
    »Meinst du Venedig oder die Welt derer, die mit Antiquitäten handeln?«
    »Beide, aber vor allem die unsere. Es gibt in der Stadt nur fünf bis zehn, die wirklich zählen: mein Bruder, Bortoluzzi, Ravanello. Und das meiste, was wir machen, bleibt in Hinweisen und Andeutungen versteckt, die so fein sind, daß niemand außer uns sie versteht.« Er sah, daß Brunetti nicht ganz mitkam, und versuchte es ihm zu erklären. »Letzte Woche hat mir jemand eine buntbemalte Madonnenfigur mit dem schlafenden Jesuskind auf dem Schoß gezeigt. Einwandfrei fünfzehntes Jahrhundert. Toskanisch. Aber der Händler hob das Jesuskind hoch - es war separat geschnitzt - und deutete auf den Rücken, wo man ganz schwach zwei übermalte Stellen erkennen konnte.« Er wartete auf Brunettis Reaktion.
    Als keine kam, fuhr er fort: »Das hieß, es war ein Engel, kein Jesuskind. An den übermalten Stellen waren die Flügel gewesen, man hatte sie entfernt, weiß der Himmel wann, und die Stellen übermalt, damit das Ganze aussah wie ein Jesuskind.«
    »Warum?«
    »Weil es immer mehr Engel gegeben hat als Jesuskinder. Und durch das Entfernen der Flügel wurde er ...« Lele verstummte.
    »Befördert?« fragte Brunetti.
    Leles Lachen erfüllte die Galerie. »Ja, genau. Er wurde zum Jesuskind befördert, und die Beförderung bedeutete, daß er beim Verkauf viel mehr Geld einbringen würde.«
    »Aber der Händler hat es dir gezeigt.«
    »Das meine ich ja, Guido. Er hat es mir gesagt, indem er es nicht sagte, sondern mir nur die übermalte Stelle zeigte, und das hätte er bei jedem von uns getan.«
    »Aber nicht bei einem Laufkunden?« mutmaßte Brunetti.
    »Vielleicht nicht«, bestätigte Lele. »Die Stelle war so gut übermalt, daß nur wenige etwas bemerkt hätten. Oder wenn doch, dann hätten sie noch lange nicht gewußt, was es bedeutet.«
    »Hättest du es gemerkt?«
    Lele nickte rasch. »Letzten Endes ja. Ich hätte es gemerkt, wenn ich das Stück mitgenommen und in meine Wohnung gestellt hätte.«
    »Aber der Laufkunde nicht?«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    »Warum hat er es dir dann gezeigt?«
    »Weil er dachte, ich würde es vielleicht trotzdem kaufen wollen. Und weil es für uns wichtig ist zu wissen, daß wir uns gegenseitig nicht belügen oder betrügen oder versuchen, ein Stück als etwas weiterzugeben, was es nicht ist.«
    »Steckt darin eine Moral, Lele?« fragte Brunetti mit einem Lächeln. Seit seiner Kindheit hatte er in vielem, was Lele ihm erzählt hatte, eine versteckte Moral entdeckt.
    »Ich bin nicht sicher, ob man es eine Moral nennen kann, Guido, aber Semenzato gehört nicht zum Club. Er ist keiner von uns.«
    »Und wer hat das entschieden, er oder ihr?«
    »Ich glaube nicht, daß jemand es wirklich irgendwann entschieden hat. Und mit Bestimmtheit habe ich nie direkt etwas über ihn gehört.« Lele, ein Mann des Bildes, nicht des Wortes, blickte aus dem großen Fenster der Galerie und betrachtete die Lichtmuster auf dem Kanal. »Es ist eher so, daß er nie als einer von uns angesehen wurde, als daß er bewußt ausgeschlossen worden wäre.«
    »Wer weiß das sonst noch?«
    »Du bist der erste, dem ich das mit den Fayencen erzählt habe. Und ich bin nicht sicher, ob man von irgend jemandem sagen kann, er ›wüßte‹ das, jedenfalls nicht so, daß er es aussprechen könnte. Es ist einfach ein allgemeines Einverständnis.«
    »In bezug auf ihn?«
    Lachend sagte Lele: »In bezug auf die meisten Antiquitätenhändler im Land, wenn du es genau wissen willst.« Und etwas ernster fügte er hinzu: »Aber ja, auch in bezug auf ihn.«
    »Nicht die beste Empfehlung für den Direktor eines der führenden Museen in Italien, wie?« fragte Brunetti. »Da hätte man doch Bedenken, eine bemalte Madonna von ihm zu kaufen.«
    Unter neuem Lachen meinte Lele: »Du solltest mal die anderen kennenlernen. Von den meisten würde ich nicht mal eine Haarbürste aus Plastik kaufen.« Beide mußten darüber erst einmal lachen, aber dann fragte Lele, jetzt ganz ernst: »Warum interessierst du dich für ihn?«
    Brunettis Diensteid verbot ihm unter anderem, jemals polizeiliche Informationen an Unbefugte weiterzugeben. »Jemand will verhindern, daß er über die China-Ausstellung vor einigen Jahren spricht.«
    »Hmm?« machte Lele, was hieß, daß er Näheres wissen wollte.
    »Die Person, die diese Ausstellung damals arrangiert hat, sollte sich mit ihm treffen, wurde aber vorher zusammengeschlagen, brutal zusammengeschlagen, verbunden mit

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