Brunetti 05 - Acqua alta
sind?« sagte die erste auf englisch, während sie ihre smaragdgrünen Augen umherschweifen ließ.
»Es steht hier im Führer, Alison. Muß berühmt sein. Nico.« (Sie sprach den Namen so, daß er sich auf »sicko« reimte, ein Wort, das Brunetti bei seiner letzten Interpolkonferenz aufgeschnappt hatte und das »krankhaft« hieß.) »Berühmt für gelato.« Sie sprach es, wie die meisten Amerikaner, »geladdo« aus.
Brunetti brauchte eine Weile, sich auszumalen, wie es jetzt wohl weiterging. Er nippte rasch an seinem Grog, der immer noch so heiß war, daß er ihm die Zunge verbrannte. Er nahm den Löffel und begann zu rühren, ließ das Getränk hoch an der Wand des Glases kreisen, als könnte er es so zum schnelleren Abkühlen zwingen.
»Ah, das ist bestimmt da unter diesen runden Deckeldingern«, sagte die erste, wobei sie sich neben Brunetti stellte und über den Tresen spähte, wo Nicos berühmtes gelato, in jahreszeitlich eingeschränkter Auswahl, tatsächlich unter diesen runden Deckeldingern wartete. »Was für eins willst du denn?«
»Meinst du, die haben hier vielleicht Heath Bar?«
»Nee, doch nicht in Italien.«
»Ach so, wahrscheinlich nicht. Dann müssen wir uns wohl mit dem Schlichtesten begnügen, was? Vanille und Schokolade oder so.«
Der Barmann kam herbei, lächelnd angesichts ihrer Schönheit und strahlenden Gesundheit, gar nicht zu reden von ihrem Mut. »Sì?« fragte er lächelnd.
»Haben Sie gelato?« fragte die eine, das letzte Wort laut, wenn auch nicht korrekt ausgesprochen.
Ohne zu zögern, griff der Barmann, der so etwas offenbar gewöhnt war, hinter sich und nahm zwei Eiswaffeln von einem hohen, umgestülpten Stapel.
»Welche Sorte?« fragte er in passablem Englisch.
»Was haben Sie denn?«
»Vaniglia, cioccolato, fragola, fiordilatte e tiramisù.«
Die beiden Mädchen sahen einander verblüfft an. »Ich glaube, wir halten uns lieber an Vanille und Schokolade, was?« meinte eine. Brunetti konnte nicht mehr unterscheiden, welche es war, so ähnlich klangen ihre gelangweilten Nasallaute.
»Ja, wahrscheinlich.«
Die erste wandte sich an den Barmann und sagte: »Due vaniglia e cioccolato, per favore.«
Im Handumdrehen war die Tat vollbracht, die Waffeln waren mit Eis gefüllt und über den Tresen gereicht. Brunetti konnte sich nur damit trösten, daß er einen großen Schluck von seinem Grog trank und sich danach das halbvolle Glas lange unter die Nase hielt.
Die Mädchen mußten ihre Handschuhe ausziehen, um die Eiswaffeln entgegenzunehmen, dann mußte die eine beide Waffeln halten, während die andere in ihren Taschen nach viertausend Lire kramte. Der Barmann gab ihnen Servietten, vielleicht in der Hoffnung, sie würden ihr Eis dann drinnen verzehren, aber die Mädchen waren nicht zu bremsen. Sie wickelten die Servietten sorgsam um die Eiswaffeln, stießen die Tür auf und verschwanden in der Nachmittagsdämmerung. Das dumpfe, traurige Schlagen eines weiteren Bootes, das gegen den Kai geworfen wurde, erfüllte die Bar.
Der Barmann warf Brunetti einen Blick zu. Brunetti sah ihn an. Keiner sagte ein Wort. Brunetti trank seinen Grog aus, zahlte und ging.
Inzwischen war es ganz dunkel geworden, und Brunetti hatte es auf einmal eilig, nach Hause zu kommen, raus aus dieser Kälte und dem Wind, der immer noch über die offene Fläche am Ufer pfiff. Er ging zuerst am französischen Konsulat, dann am Giustimani-Krankenhaus vorbei, einer Aufbewahrungsstätte für Alte, und von dort nach Hause. Da er schnell ausschritt, brauchte er nur zehn Minuten. Im Flur roch es feucht, aber der Steinboden war noch trocken. Um drei Uhr am Morgen hatten die Sirenen acqua alta angekündigt und sie alle geweckt, doch die Ebbe hatte eingesetzt, bevor das Wasser durch die Ritzen gedrungen war. In ein paar Tagen war Vollmond, und im Norden, im Friaul, hatte es schwere Regenfälle gegeben, so daß die Nacht möglicherweise das erste richtige Hochwasser des Jahres bringen würde.
Oben in seiner Wohnung angekommen, fand er, was er suchte: Wärme, den Duft einer frisch geschälten Mandarine und die Gewißheit, daß Paola und die Kinder zu Hause waren. Er hängte seinen Mantel an einen Haken neben der Tür und ging ins Wohnzimmer. Dort saß Chiara mit aufgestützten Ellbogen am Tisch, hielt mit der einen Hand ein offenes Buch und steckte sich mit der anderen Mandarinenstückchen in den Mund. Sie sah auf, als er hereinkam, lächelte breit und hielt ihm ein Stück hin. »Ciao, papà.«
Er ging durchs Zimmer,
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