Brunetti 05 - Acqua alta
Fenster öffnen.
Ein paar Minuten später trafen sie gemeinsam ein, und Vianello ließ ihr an der Tür den Vortritt. Sobald sie im Zimmer waren, machte Brunetti das Fenster wieder zu, und der Sergente, normalerweise eher ein brummiger Bär, zog einen Stuhl an Brunettis Schreibtisch und hielt ihn, bis Signorina Elettra darauf Platz genommen hatte. Vianello?
Noch im Hinsetzen schob Signorina Elettra ein Blatt über Brunettis Schreibtisch. »Das ist vorhin aus Rom gekommen, Commissario.« Und im Vorgriff auf seine unausgesprochene Frage fügte sie hinzu: »Sie haben die Fingerabdrücke identifiziert.«
Unter dem Briefkopf der Carabinieri und über einer unleserlichen Unterschrift stand zu lesen, daß die Fingerabdrücke auf Semenzatos Telefon mit denen eines gewissen Salvatore La Capra übereinstimmten, Alter dreiundzwanzig, wohnhaft in Palermo. Trotz seiner Jugend hatte La Capra schon eine stattliche Zahl von Anzeigen auf seinem Konto: Erpressung, Vergewaltigung, tätlicher Angriff, Mordversuch und Verbindung zu bekannten Mitgliedern der Mafia. Alle diese Anklagen waren im Verlauf der langwierigen juristischen Prozeduren zwischen Festnahme und Prozeß wieder fallengelassen worden. Im Erpressungsfall waren drei Zeugen verschwunden; die vergewaltigte Frau hatte ihre denunda zurückgezogen. Seine einzige Vorstrafe hatte La Capra für eine Geschwindigkeitsüberschreitung bekommen, und für dieses Vergehen hatte er vierhundertzwanzigtausend Lire bezahlt. Aus dem Bericht ging weiter hervor, daß La Capra, der keiner Arbeit nachging, bei seinem Vater lebte.
Als Brunetti zu Ende gelesen hatte, warf er Vianello einen Blick zu. »Haben Sie das gesehen?«
Vianello nickte.
»Woher kommt mir der Name so bekannt vor?« fragte Brunetti, an beide gewandt.
Signorina Elettra und Vianello wollten gleichzeitig zu sprechen anfangen, aber als Vianello sie hörte, unterbrach er sich und bedeutete ihr fortzufahren.
Als sie dies nicht sofort tat, versuchte Brunetti sie mit einem »Na?« zu ermuntern, denn bei aller Ritterlichkeit hätte er doch gern eine Antwort gehabt.
»Der Architekt?« fragte Signorina Elettra, und Vianello nickte zum Zeichen, daß auch er den Namen in diesem Zusammenhang kannte.
Das genügte, um Brunettis Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Vor fünf Monaten hatte ein Architekt, der mit umfangreichen Restaurierungsarbeiten an einem Palazzo beauftragt worden war, den Sohn des Palazzo-Besitzers in einer eidesstattlichen Erklärung bezichtigt, ihm mit körperlicher Gewalt für den Fall gedroht zu haben, daß die Restaurierungsarbeiten, die bereits seit acht Monaten im Gange waren, sich noch weiter verzögerten. Als der Architekt ihm zu erklären versucht hatte, wie schwer die Baugenehmigungen zu bekommen seien, habe der Sohn das weggewischt und ihm gedroht, sein Vater sei es nicht gewöhnt, daß man ihn warten ließ, und wer es sich mit ihm oder seinem Vater verderbe, dem passierten oft schlimme Dinge. Schon am nächsten Tag, noch bevor die Polizei etwas hatte unternehmen können, war der Architekt wieder in der Questura erschienen und hatte behauptet, das Ganze sei ein Mißverständnis gewesen und es seien gar keine direkten Drohungen gefallen. Er hatte die Anzeige zurückgezogen, aber da war sie schon schriftlich festgehalten und von ihnen allen dreien gelesen worden, weshalb sie sich nun auch alle drei erinnerten, daß der Beschuldigte Salvatore La Capra geheißen hatte.
»Ich glaube, wir sollten mal nachsehen, ob Signorino La Capra oder sein Vater zu Hause ist«, meinte Brunetti. »Und Sie, Signorina«, fügte er an Signorina Elettra gewandt hinzu, »Sie könnten vielleicht einmal sehen, was Sie über den Vater herausfinden und wovon er diesen Palazzo bezahlt hat. Haben Sie Zeit?«
»Natürlich, Dottore«, sagte sie höflich. »Ich habe für den Vice-Questore schon den Tisch fürs Abendessen bestellt, kann also gleich anfangen.«
»Schauen Sie mal, ob im vergangenen Jahr vielleicht jemand vorn Museum gekündigt wurde und, wenn ja, ob Semenzato damit irgendwie zu tun hatte.«
»Soll ich auch La Capras Finanzen überprüfen, Commissario?«
Brunetti nickte, dankbar für die Idee und das Angebot. »Ja, bitte, und wenn es geht -«
Sie unterbrach ihn mit einem Lächeln: »So schnell wie möglich, ich weiß.« Sie machte sich eine Notiz und fragte: »Ist das alles?«
»Ja. Und vielen Dank, Signorina.«
Sie stand auf, und wie ihr Schatten erhob sich gleichzeitig Vianello, folgte ihr zur Tür und hielt sie
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