Brunetti 05 - Acqua alta
überwacht hat, ist am Ausgrabungsort in China tödlich verunglückt.«
»Verunglückt? Das klingt nach Zufall. Laut Freud gibt es doch keine Zufälle«, sagte Carrara.
»Ich weiß nicht, ob Freud das auch auf China bezogen hat, aber es sieht tatsächlich nicht nach einem Unfall aus.«
Brunetti nahm Carraras Grunzen als Zustimmung und sagte: »Ich spreche morgen vormittag mit Dottoressa Lynch.«
»Warum?«
»Ich will sie zu überreden versuchen, eine Zeitlang die Stadt zu verlassen, und ich möchte mehr über die ausgetauschten Stücke erfahren. Was es war, ob sie einen Marktwert haben -«
Carrara unterbrach ihn. »Natürlich haben sie den.«
»Ja, das ist mir schon klar, Giulio. Aber ich will mir ein Bild von diesem Markt machen und hören, ob man dort die Sachen offen verkaufen kann.«
»Entschuldigung. Das hatte ich nicht gleich verstanden, Guido.« Und nach kurzem Schweigen fügte Carrara hinzu: »Wenn sie von einer Ausgrabungsstätte in China stammen, kann man so gut wie jeden Preis dafür verlangen.«
»So selten sind sie?« fragte Brunetti.
»So selten. Aber was wollen Sie darüber wissen?«
»In erster Linie, wo oder wie die Kopien hätten angefertigt werden können.«
Carrara unterbrach ihn erneut. »In Italien gibt es massenhaft Werkstätten, die Kopien herstellen, Guido. Alles: griechische Statuen, etruskischen Schmuck, Ming-Vasen, Renaissance-Gemälde. Sagen Sie, was Sie haben wollen, und es findet sich ein italienischer Kunsthandwerker, der Ihnen eine Kopie macht, auf die sogar Experten hereinfallen.«
»Aber habt ihr da unten nicht alle möglichen technischen Mittel, um sie zu erkennen? Davon habe ich doch gelesen. Radiokarbonmethode und so was.«
Carrara lachte. »Sprechen Sie mit Dottoressa Lynch, Guido. Sie hat dem in einem ihrer Bücher ein ganzes Kapitel gewidmet und kann Ihnen sicher Dinge erzählen, die Sie in langen Winternächten wachhalten.« Brunetti hörte Geräusche am anderen Ende der Leitung, dann Stille, als Carrara die Hand über die Sprechmuschel legte. Kurz darauf war er wieder da. »Tut mir leid, Guido, aber ich bekomme gerade einen Anruf aus Vietnam; es hat zwei Tage gedauert, da durchzukommen. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas hören, und ich melde mich, wenn sich hier etwas tut.« Bevor Brunetti noch zustimmen konnte, war die Verbindung unterbrochen.
14
Brunetti saß am Schreibtisch, ohne zu merken, wie heiß es in seinem Büro geworden war, und dachte darüber nach, was er von Carrara erfahren hatte. Man nehme einen Museumsdirektor, füge Wachleute und Gewerkschaften hinzu, rühre ein bißchen Mafia und einen neapolitanischen Kunsthändler mit hinein, und heraus kommt ein Cocktail, von dem ein Sonderdezernat für Kunstdiebstahl einen gehörigen Kater bekommen kann. Er nahm ein Blatt Papier aus einer Schublade und notierte sich, was er Brett noch fragen wollte. Er brauchte genaue Beschreibungen der Stücke, die sie als Fälschungen erkannt hatte. Er mußte mehr darüber erfahren, wie der Austausch hatte vor sich gehen und wo und wie die Fälschungen hatten angefertigt werden können. Außerdem brauchte er eine lückenlose Darstellung aller Gespräche und aller Korrespondenz, die sie mit Semenzato geführt hatte.
Er hielt mit Schreiben inne und gestattete seinen Gedanke, ins Persönliche abzuschweifen: Würde sie nach China zurückgehen? Während er so an sie dachte, sich ins Gedächtnis rief, wie sie zuletzt ausgesehen hatte, wie sie mit der Faust auf den Tisch geschlagen hatte und dann wütend aus dem Zimmer gegangen war, fiel ihm plötzlich eine Unstimmigkeit auf, die er bisher übersehen hatte. Warum war sie nur zusammengeschlagen, Semenzato aber umgebracht worden? Brunetti zweifelte nicht, daß die Männer, die zu ihr geschickt worden waren, lediglich den Auftrag gehabt hatten, ihr diese gewalttätige Warnung vor einem Treffen mit Semenzato zu überbringen. Aber warum hatte man sich damit überhaupt aufgehalten, wenn Semenzato sowieso umgebracht werden sollte? Hatte Flavias Eingreifen den Lauf der Dinge durcheinandergebracht, oder hatte Semenzato auf irgendeine Weise die Gewalt in Gang gesetzt, die dann zu seinem Tod führte?
Doch zuerst die praktischen Fragen. Er rief unten an und bat Vianello, heraufzukommen und unterwegs bei Signorina Elettra vorbeizuschauen und sie zu fragen, ob sie mitkommen könne. Die Antwort von Interpol war noch nicht da, weshalb er es an der Zeit fand, auf eigene Faust herumzustöbern. Während er wartete, ging er noch einmal das
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