Brunetti 05 - Acqua alta
ein Hund und stieg die Treppe hinauf.
Heute war es Brett, die an der offenen Tür stand und ihn einließ. Sie lächelte ihm zu, und er sah wieder ihre weiß aufblitzenden Zähne.
»Wo ist Signora Petrelli?« fragte er, als sie ihn ins Wohnzimmer führte.
»Flavia ist selten vor elf präsentabel. Und vor zehn noch gar kein Mensch.« Als sie vor ihm her durchs Wohnzimmer ging, sah er, daß sie sich lockerer bewegte und weniger darauf achtete, ob eine ganz normale Bewegung oder Geste ihr womöglich weh tat.
Sie bot ihm einen Platz an und setzte sich ihm gegenüber aufs Sofa; das wenige Licht, das ins Zimmer fiel, kam von hinten, so daß ihr Gesicht teilweise im Schatten lag. Als sie beide saßen, zog er das Blatt Papier aus der Tasche, auf dem er sich gestern Notizen gemacht hatte, obwohl er ziemlich genau wußte, was er sie fragen wollte.
»Können Sie mir etwas über die Stücke sagen, über deren Echtheit Ihnen in China Zweifel kamen?« begann er ohne Einleitung.
»Was wollen Sie wissen?«
»Alles.«
»Das ist ziemlich viel.«
»Ich muß wissen, wie viele Stücke Ihrer Meinung nach gestohlen wurden. Und dann müßte ich noch etwas darüber erfahren, wie das wohl gemacht wurde.«
Sie antwortete ohne Zögern. »Ganz sicher bin ich inzwischen bei drei Stücken, obwohl ich ursprünglich noch zwei weitere im Verdacht hatte.« Hier änderte sich ihr Gesichtsausdruck, und der Blick, mit dem sie ihn ansah, verriet Unsicherheit. »Aber ich habe keine Ahnung, wie es gemacht wurde.«
Nun wurde Brunetti unsicher. »Aber jemand hat mir gestern gesagt, Sie hätten in einem Ihrer Bücher ein ganzes Kapitel darüber geschrieben.«
»Ach so, Sie meinen, wie die Fälschungen gemacht wurden«, sagte sie, hörbar erleichtert. »Ich dachte, Sie wollten wissen, wie sie gestohlen wurden. Da habe ich nämlich keine Ahnung, aber ich kann Ihnen sagen, wie die Fälschungen hergestellt wurden.«
Brunetti wollte Matsukos eventuelle Beteiligung nicht ins Spiel bringen, jedenfalls noch nicht, weshalb er nur fragte: »Wie denn?«
»Es geht ganz einfach.« Sie sprach jetzt mit anderer Stimme, nämlich der Sicherheit der Expertin. »Verstehen Sie etwas von Töpferei oder Keramiken?«
»Sehr wenig«, gestand er.
»Die gestohlenen Stücke stammen alle aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus«, begann sie zu erklären, aber er unterbrach sie.
»Sind zweitausend Jahre alt?«
»Ja. Die Chinesen hatten schon damals wunderschöne Töpferwaren und sehr ausgeklügelte Fertigungsmethoden. Aber die gestohlenen Stücke waren einfache Gegenstände, jedenfalls damals, als sie hergestellt wurden. Sie sind unglasiert und handbemalt, meist mit Tiermotiven. Grundfarben sind Rot und Weiß, oft auf schwarzem Grund.« Sie stand langsam auf und ging zum Bücherregal, wo sie eine Weile grübelnd stehenblieb und den Kopf von einer Seite zur anderen drehte, während sie die Titel las. Schließlich zog sie direkt vor sich ein Buch heraus und brachte es mit zum Sofa. Sie schlug das Register auf und blätterte dann herum, bis sie fand, was sie suchte. Schließlich reichte sie Brunetti das aufgeschlagene Buch.
Er blickte auf das Foto eines kürbisförmigen, gedrungenen Kruges mit Deckel, dem man nicht ansehen konnte, wie groß er war. Die Bemalung war in drei horizontale Bänder gegliedert: Deckel und Hals, ein breites in der Mitte und ein drittes unten. In dem schwarzen Mittelfeld um den Bauch des Gefäßes sah er die Seitenansicht eines Tieres mit offenem Maul. Es hätte ein stilisierter Wolf sein können, ein Fuchs, sogar ein Hund, dessen weißer Körper aufgerichtet war und nach links strebte, die Hinterbeine weit gespreizt und die erhobenen Vorderbeine vorgestreckt. Der Eindruck von Bewegung, den die Läufe vermittelten, wurde durch eine Anzahl geschwungener geometrischer Linien verstärkt, die in einem sich wiederholenden Muster über die ganze Vorderseite und vermutlich bis zur nicht sichtbaren Rückseite liefen. Der Rand war stark angeschlagen, aber das Bild im mittleren Teil war unversehrt und sehr schön. Aus der Bildunterschrift ging nur hervor, daß es ein Krug aus der Han-Dynastie war, was Brunetti nichts sagte.
»Finden Sie solche Sachen in Xi'an?« fragte er.
»Dies hier stammt zwar auch aus Westchina, aber nicht aus Xi'an. Es ist ein seltenes Stück. Ich glaube kaum, daß wir so etwas finden werden.«
»Warum nicht?«
»Weil inzwischen zweitausend Jahre vergangen sind.«
»Erklären Sie mir, wie man so etwas fälschen würde«, sagte er,
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